Kunst und Kultur

Montag, 16. März 2009

Nadja Tillers kluge Worte

"Vor dem Tod habe ich nur ein bisschen Angst, viel mehr fürchte ich die Hamburger Radfahrer." So Nadja Tiller gegenüber der Presse. Sie hat ja so Recht, die tolle alte Dame, die heute ihren 80. Geburtstag feiert.

Ich fand die immer so damenhaft, so stilvoll und darum muss ich das hier mal - noch gar nicht richtig durchformuliert - loswerden.

Dienstag, 3. Februar 2009

Kurt Demmler

Lied für Maria

Dieses Lied sing' ich den Frauen
die allein sind in den Nächten,
ihr Alleinsein nicht verdauen
und so gern bei ihm sein möchten.

Dieses Lied sing' ich Maria,
die schon auf der Penne
eines ausprobierte und dann abging,
denn sie kriegte etwas Kleines.

Und der Vater von Maria,
und der des begonnenen Kindes,
wollten nichts mehr von ihr wissen.
"Geh Maria und verwind es."

Und Maria schluckte heftig,
und es lag ihr schwer im Magen,
und ihr Kindchen lag daneben,
und sie wollt's nicht nur ertragen

Der Kurt Demmler Song. Die meisten Frauen in der ehemaligen DDR kannten ihn - er geht ja auch noch ellenlang weiter.

Es endet:
Heute nacht sah ich Maria
eine Frau von Mitte dreißig
stehn in einer Telefonzelle
Tränen sah ich und nun weiß ich

Dass emanzipierte Frauen
die uns ach so stark erscheinen
noch Jahrzehntelang und länger
nachts um ihre Schwächen meinen

Ein Frauenversteher würde man heute sagen. Und doch und doch...

Kurt Demmler
Meine Freundin hat mir schon vor einiger Zeit erzählt, dass er eine Popband gründen wollte und die Mädchen hinterher klagten, dass er sie belästigt hat. In welchen Ausmaßen wusste ich nicht.
Seit August war er in U-Haft.

Jetzt hat er sich erhängt in seiner Zelle.

Sonntag, 21. September 2008

Uschi Obermaier "High Times" und Hot Times

Ich war skeptisch, weil es ja so ein Medienknaller war, aber dann habe ich mit Vergnügen Uschi Obermaiers Memoiren „High Times“ gelesen. Als Buch und Film erschienen – lief ja alles unter dem Motto: Krawallnudel oder so. Das kann ja sein, aber mir gefiel die unverstellte Sprache und die schonungslose Ehrlichkeit. Sowas bekommt irgendwann eine eigene Qualität. Das Buch beruht auf Interviews, die sie einem Journalisten Olaf Kraemer gegeben hat. Und da gab es einige Probleme wegen ihrer Direktheit, die ihr dann in geschriebener Form – wohl doch unheimlich geworden ist.
Buchrezensenten sagen, Kraemer hätte diesen bayrischen Vorstadtslang selbst erfunden und ihn dann Obermaier in den Mund gelegt. Ich glaube das aber nicht. Das Buch ist sicherlich sehr unausgeglichen im Stil, aber manchmal dachte ich mir: Wenn da jemand noch mal drüber gegangen wäre, dann könnte das durchaus ein kraftvolles Stück Literatur sein.

Sie nimmt ja wirklich kein Blatt vor den Mund und bleibt sich selbst treu. Als junges Mädchen erkennt sie bald, dass eine Tätigkeit als Retuscheurin – sie beginnt eine entsprechende Lehre - wohl nicht so richtig das ist, was sie vom Leben erwartet. Was sie will ist Musik und Männer. Leben genießen und kiffen und überhaupt. Männer sind leicht zu kriegen, die fliegen auf sie, sie ist ein schönes Mädchen. Zum Beispiel der allseits noch immer sehr bekannte Rainer Langhans. Die Kommunegeschichten kennt man ja alles aus den Medien. Andere haben ihr angekreidet, dass sie auf politische Zusammenhänge nicht eingeht. Sie war halt unpolitisch – sie macht daraus auch kein Hehl. Aus Liebe hat sie sich auf den – seinerseits ja auch nicht allzu politischen Langhans eingelassen.

Mit Musikern hat sie auch recht intensive Begegnungen. Herrliche Sätze tauchen auf wie: „Manchmal war es mit den Musikern allerdings auch total niederziehend. Besonders mit den Kinks“. Die waren wohl nicht gerade nett zu Groupies.. Mir gefällt, dass die Obermaier das auch das nichtt nicht ausspart, Momente, in denen sie sich billig vorkommt. Mit Keith Richards von den Stones hat sie eine episodenweise Liaison. Das Leben mit Langhans ist irgendwann langweilig, Politik und Selbstfindung sind nicht ihre Sache. Also hin zu diesem Dieter Bockhorn. Der ist einer der Macker auf dem Hamburger Kiez, sie führen ein wildes Leben – Rauschgift kommt dazu. Bockhorn muss auch mal in den Knast.

Immer mal wieder steht die Frage, ob ihr Lover sie nicht auch auf den Strich schickt, aber das lässt sie sich nicht bieten Überhaupt setzt sie den Männern sehr viel Eigensinn entgegen, ist zum Teil schonungslos und hart. Sie lässt sich eben von Männern die Butter nicht vom Brot nehmen, aber wenn sie liebt ist sie großzügig und unendlich geduldig. Ich weiß immer nicht, ob erstere oder die letztere Eigenschaft die Männer mehr ängstigen.

Bockhorn und sie fliehen irgendwann auch vor den zunehmenden Gewalttätigkeiten auf dem Kiez. Mit einem Riesen Wohnmobil - allein schon die Art, wie sie das Ding finanziert haben, ist herrlich - touren sie durch Asien. Furchtlos und neugierig auf das Leben. Das sind schon tolle Geschichten, die sie da zu erzählen hat.
Die zweite Tour geht in die USA, wo Bockhorn, der mehr und mehr zum Junkie wird, mit dem Motorrad verunglückt. Sie stellt sich dem Niedergang entgegen und schafft sich eine neue Existenz. Und sie muss mit dem Altern fertig werden. Wie sie das tut- alle Achtung. Schon bei der Schilderung ihrer Modelerfahrungen ist sie von gesundem Realismus und erkennt, wie austauschbar Schönheiten sind, wenn da nicht noch was ganz Eigenes Unverwechselbares dazu kommt. Sie hasst es, von Casting zu Casting zu hetzen - überhaupt hält sich ihr Ehrgeiz in Grenzen. Gefällt mir auch, diese Unverbissene.

Es gibt sehr viele schöne Frauen, die Obermaier imponiert damit, dass sie neben dieser Schönheit eine Persönlichkeit ist, mit großer Stärke, viel Eigensinn und einem eigentlich guten Herzen, das sie aber nur zeigt, wenn sie in Stimmung dafür ist.

Sie will jetzt in Ehren eine ältere Dame werden. Na, wird doch.

Sonntag, 27. Januar 2008

Sanda Weigl

Das ist viele Jahr her, wir waren in der vormilitärischen Ausbildung in der Sächsischen Schweiz. Alle Studentinnen waren dort, die halbwegs o.k. waren.
Es war anstrengend, aber auch manchmal ganz lustig. Und wir haben viel Musik gemacht. Eine von den Studentinnen - man sagte, sie sei eine Nichte von Helene Weigel - hatte eine Wahnsinnsstimme. Die sang so Sachen wie "Dona dona" sehr schön. Sie trat später auch mit einer Band auf, die sich "Team 4" nannte. Noch später ging sie mit ihrem Freund, dem Dissidenten Thomas Brasch nach dem Westen.
Im Internet ist sie als Sanda Weigl zu finden. Offensichtlich war ihr der verwandtschaftliche Name zur großen Helene nicht so recht.
Ihre Wurzeln sind wohl auch eher rumänisch oder Gypsy.
Musik von ihr habe ich gefunden - sehr beeindruckend.


http://music.barnesandnoble.com/search/product.asp?ean=035828031523

Sonntag, 22. Juli 2007

Gift und Galle Griefahn

Die Politikerin Monika Griefahn hat sich dafür eingesetzt dass pornografische, gewaltverherrlichende und rassistische Rappertexte zwar nicht verboten, aber doch nicht am Tage für Jugendliche und Kinder zugänglich gesendet werden sollten.
Die Rapperszene rächte sich mit griefahnfeindlichen Texten. Das alles kann man im Internet nachlesen, wenn es – dank der marktwirksamen Medien – nicht schon bekannt ist.

Mir war das alles ziemlich wurscht. Aber als ich in der taz einen Meinungsbeitrag der SPD-Medienpolitikerin nachlas, sah ich mich auch zu einer gewissen Griefahnfeindlichkeit gedrängt. Sie plädiert für einen mündigen Umgang mit diesen Texten und das übliche bla, bla...

Einverstanden, bitteschön. Aber dann sondert sie noch so herrliche Statements wie das folgende ab: „Wissenschaftliche Untersuchungen wie die von Olaf Kessler bestätigen ..., "dass Kinder und Jugendliche, die nicht in einem sicheren sozialen Umfeld und in einer intakten Familie aufwachsen, ein viel höheres Aggressionspotenzial haben, wenn sie 15-mal am Tag Textzeilen wie "Ich fick dich in die Urinblase" hören. Solche Inhalte gehören eindeutig nicht ins Tagesprogramm von Radio- und Fernsehsendern.“.

Was will uns M.Griefahn damit sagen?
Ich schlußfolgere: Wenn solche Fortbildungsveranstaltungen nur noch am Abend und in der Nacht stattfinden, dann steht die Frage: Wie kriegt man mittelständische Weicheier auf die Höhe der für diese Zeiten notwendigen Härte?
Mit welcher Sorte Text bringt man die sozial-umfeldmässig gesicherten und intaktfamiliären nichtghettoisierten Kids in geordneten Verhältnissen zu dem für diese harten Zeiten erforderlichen Aggressionspotenzial?
Die sind ja schwer benachteiligt. Und kaum hocken sie sich vor den Fernseher und sehen zum Ausgleich des Diskriminierungsfaktors ein paar Aggroberlin Raps mit Schwulenhatz und all so schönen Sachen oder denken darüber nach, was eine Urinblase von einer Sprechblase unterscheidet, da kommen Muttis wie Monika Griefahn und erklären ihnen liebevoll, dass sie erst lernen müssen, damit umzugehen (Wir müssen reden!!!) Sie müssen begreifen lernen, dass sie ohne einen medienkompetenten-intellektuellen Kontext, der nicht alles so eins zu eins nimmt, diese Raps am Ende ernstnehmen und einen Schaden fürs Leben kriegen. Bis sie soweit sind, dürfen die das nicht sehen –ist das nicht furchtbar? In dieser Zeit haben die nichtintakten Prolls und Uschis (Unterschichten) einen solchen Vorsprung, dass sie die Urinblase verlassen und die Welt ficken. Und die intakten Kids singen vor sich hin:
Ich lieb* die Mutti vehement,
sie ist so medienkompetent.

Sonntag, 28. Januar 2007

Milan Peschel

Vor vielen Jahren – es war meine erste Arbeitsstelle – hatte ich eine Kollegin, die zwar sehr freundlich war, aber zu allen Leuten doch einen unüberwindbaren ironischen Abstand hielt. Sie war in meinem Alter, klein wie ich, recht stämmig und hatte ein lustiges, bebrilltes Gesicht. Wir alberten zusammen, lachten viel, aber sie sprach selten ernsthaft. Alles durchlief bei ihr eine Art von Verfremdungsmechanismus, so dass sie über ernste Sachen sehr albern und über alberne Sachen todernst reden konnte. Ich fragte sie mal direkt, warum sie das tut. Das war dumm, denn die Antwort hätte ich mir auch selbst geben können. „Mein Gott, jeder braucht seine Masken“, antwortete sie mir unwillig.
Sehr imponierte mir ihr Mut, sich so zu präsentieren, wie sie selbst es für gut und richtig hielt. Sie trug – entgegen allen Ratschlägen von Modeexperten - noch immer Miniröcke und lief mit ihren runden, festen Beinen nachdrücklich auftretend durch das Haus. Sie war verheiratet und hatte ein Söhnchen von damals drei oder vier Jahren. Von ihm sprach sie immer in liebevollstem Ton, mit ihrem Mann hatte sie immer mal wieder Zank.

Wir, der Mann von uns drei Kollegen der kleinen Abteilung, und ich - zogen sie mit diesem Söhnchen immer auf, weil er den Namen „Milan“ führte. Der Name ist im tschechischen so habe ich gehört, gar nicht so selten. In unseren Breiten war er selten und bekannt nur als Name für einen Vogel. Wenn wir die Kollegin necken wollten, trugen wir ihr immer Grüße auf an den „weißen Milan“ oder fragten, was das Vogeljunge so treibt.

Bald trennten sich unsere Wege. Ich kündigte und arbeitete anderswo. Erst nach der Wende sah ich sie mal bei einer Behörde und wir grüßten uns von weitem. Bald schon tauchte der Name, dessentwegen wir sie immer so geneckt hatten, in anderem Zusammenhang auf. Auf dem Besetzungsplan von Castorfs Ostberliner Volksbühne stand ein Milan Peschel, erst seltener dann immer öfter.
Und als sie kürzlich diesen hübschen Film „Netto“ im Fernsehen zeigten, da sah ich ihn zum ersten Mal in einer Hauptrolle. Und sofort fiel mir die große Ähnlichkeit mit seiner Mutter auf. Inzwischen macht er alles, was es an kreativem gibt auf diesem künstlerischen Feld. Er spielt in Filmen, Haupt- und Nebenrollen, jetzt zum Beispiel in dem Film über Uschi Obermaier, in „Lenz“, einer Büchnerverfilmung, er führt auch Regie am Gorki-Theater.

Heute hat er in der „Berliner Zeitung“ ein langes Interview. Da erzählt er auch über seine Mutter ein bisschen, über die schwierigen Verhältnisse, in denen sie aufgewachsen ist. Das wirft noch ein genaueres Licht auf die Gründe für ihr Verhalten. Er hat ein gutes liebevolles Verhältnis zu ihr. Das kann man da nachlesen. Wie sie ihn und seine Schauspielerneigungen behutsam gefördert hat und wie sie für sich selbst ein neues Leben begonnen hat und dass sie jetzt in einem Haus zusammen wohnen. Das ist schön.

Sehr gefreut habe ich mich, dass er – befragt nach seiner Meinung über „Das Leben der anderen“ – dezidiert feststellt: (Das) „ist für mich kein Film über die DDR“. (Er ist) „Ein halbwegs gut gemachter Hollywoodfilm mit deutschen Schauspielern. Ein richtiger Konflikt, den ein Mensch mit sich und seinen Idealen hat, sieht ganz anders aus.“

Es ist schon so: Ohne das Internet hätte ich diese interessante Laufbahn nicht so schnell in den Blick bekommen.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/magazin/624011.html

Mittwoch, 4. Oktober 2006

Erhellender Link

http://www.taz.de/pt/2006/10/04/a0128.1/text

Das ist das Beste was ich zu der ganzen Debatte um Religion, Aufklärung, die Sinnkrise der Gegenwart und die Auseinandersetzung um den Idomeneo gelesen habe. Klasse.


Was mir in letzter Zeit immer ganz merkwürdig falschmünzerisch vorkam, war die päpstliche Behauptung, dass Religion, Vernunft und Aufklärung eine sinnreiche Gemeinschaft bildeten.
Das war völlig im Widerspruch zu meinen eigenen Erfahrungen in der Kindheit. :Da gab es ein Buch "Der endlose Chor", der das Schicksal von Heiligen, in dem in einigen der Legenden das Wüten der Aufklärung beklagt wurde.
Bei Greffrath habe ich - begründeter als meine eigenen Gefühle - das gleiche Unbehagen formuliert gefunden.

Mittwoch, 27. September 2006

Das Feuilleton und Idomeneo

Ach ist das herrlich, wenn sich das Feuilleton so balgt. Und man darf bei den meisten Diskursen dabei sein, denn das Internet verschafft einen Überblick.
Ich denke, die Printmedien fürchten das Internet nicht deshalb, weil es ihnen journalistisch Konkurrenz macht, sondern wegen der intellektuellen Preisvergleiche, die durch die gleichzeitige Lektüre möglich sind.

Und da kriegt man so eine Vision, wie sie alle auf dem Kreativklo sitzen und einem Skandal oder einem Skandälchen oder einem event noch etwas abpressen.

So ist das nun mal: Diese Branche lebt davon, dass man seinen Senf dazugibt, aber die Würste werden immer mickriger und die Senfhaufen immer umfangreicher.

Und wie immer, wenn eine Frau Mist gebaut hat, werden auch die Stimmen mancher Männer schriller.
Und die Frauen sind meist noch unbarmherziger als die Männer.

Freitag, 15. September 2006

Brandenburger "Sehnsucht"

Nachdem ich vor kurzem noch über die Brandenburger gelästert hatte, dann reumütig den hochgelobten Film „Sehnsucht“ angesehen.
Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein Mann um die dreissig – glücklich mit seiner Jugendliebe verheiratet - lernt bei einer Feuerwehrschulung eine Kellnerin kennen, verbringt eine Nacht mit ihr und verliebt sich ernsthaft. Aber er liebt auch seine Frau. Und damit kommt er nicht zurecht. Das ist zuviel für sein Leben in Ordnung und Regelmäßigkeit.
Durch einen Unfall erfährt seine Frau davon. Sie verlässt ihn. Er versucht, sich das Leben zu nehmen. Aber es geht schief. Er lebt weiter mit einer der beiden Frauen. Mit welcher erfährt man nicht. Am Ende sitzen einige Kinder auf dem Klettergerüst eines Spielplatzes. und erzählen sich das Ganze wie eine alte Legende. Es ist wie eine griechische Tragödie. Worte wie „Tod“, „Schicksal“, „Leidenschaft“ kommen vor und werden aber als Kinderfragen gestellt.
Überwiegend wurde mit Laiendarstellern gedreht. Aber sie hielten nicht einfach ihr Gesicht hin, sondern die Geschichte wurde mit ihnen zusammen erarbeitet. Am Anfang stand auch nicht der Stoff, sondern über 200 Interviews mit Leuten in Brandenburg über ihre „Sehnsüchte“. Dann kam eine wirkliche Geschichte, eigentlich in einem französischen Dorf passiert ist, dazu.

Also da ist eine Szene: Da tanzt der Held - ein Brandenburger Allerweltsgesicht - ein bisschen betrunken und allein nach Robbie Williams „Feel" und darin liegt alle Sehnsucht nach noch einer anderen Art von Liebe, als die, mit der die Familienkaffeemühle in Gang gesetzt wird. Und auch die anderen Liebeszenen sind von der Sorte, die nicht so viel Haut braucht.
Es ist schon so, die wirkliche Erotik ist über den Kleidern – gerade in diesen übernackten Zeiten - im Gesicht in einer Geste in einer Bewegung. Manchmal liegt sie auch in der Stimme. Hier allerdings nicht, denn es wird wenig geredet. Und wenn – z.B. in dem Teil, als die Ehefrau mitkriegt, dass ihr Mann nicht mehr der Alte ist – dann sind es die falschen, viel zu großen Worte. “Ich begehre Dich so sehr“... das ist zuviel und „stimmt“ darum dann auch wieder. In ihrer Unsicherheit, was sie mit dem ihr entfremdeten Mann anfangen soll, will auch sie die „großen Gefühle“ wecken.
Sehr beeindruckend, die Art, wie die Regisseurin mit diesen sperrigen Leuten umgegangen ist.

„Das Land Brandenburg überrascht mich immer wieder", hat Valeska Grisebach in einem Interview gesagt.
„Da gibt es zunächst diese Ruppigkeit. Doch wer sich mit den Menschen an einen Tisch setzt, erlebt die Offenheit dieser Menschen. Und einen unwahrscheinlichen Humor, spontan. manchmal ein bisschen verschroben“.
Na, das schien mir wie eine Antwort auf meine Brandenburg-Meckerei.

Aber als Liebeslied singen sie im Dorfchor „Dat du min Leevsten bist“. Das ist schon nördlicher.

Mittwoch, 6. September 2006

Pankow - Kissingenplatz 12

„Katze läuft vor der Maus
Blut stürzt die Wand“

Wenn man die lange Heinersdorfer Brücke geschafft hat, dann ist absolut Pankow, nicht Pankow-Heinersdorf und nicht Pankow-Niederschönhausen.
Vorbei an der Aral-Tankstelle, deren Einfahrt durch ein missglücktes Einbiegemanöver eines LKWs ziemlich demoliert wurde. Die gesamte Ausfahrt Prenzlauer Promenade war deshalb vor kurzem blockiert. Die Kissingenstrasse geht von ihr ab. Hier stehen die typischen Genossenschaftsbauten aus dem Vorkrieg.
Die Straße weitet sich zum Kissingenplatz. Dort in der Nummer 12 wohnten - so steht es auf der seit kurzem angebrachten Tafel - Inge und Heiner Müller. Und weil deren beider Leben zu sehr unterschiedlichen Zeiten endet, wird darauf hingewiesen, dass von 1959 bis 1966 beide Müllers in diesem Altneubau wohnten, ab 1966 Heiner Müller dann noch allein bis 1979. Das Leben ist wenig gedenktafelfreundlich.
Am 1. Juni 1966 kam Heiner Müller abends nach Hause. Er habe noch sehr lange an der U-Bahn mit Adolf Dresen über die Zukunft oder Nicht-Zukunft des Marxismus diskutiert, schreibt er in seiner Biographie und. "Als ich nach Hause kam, war sie schon tot".
Er schrieb in Etappen die "Todesanzeige". Wie er sich verspätet, wie sie da liegt den Kopf im Gasofen und er sich selbst beobachtet, als der, der sie findet.
Das alles habe ich nachgelesen.
Über Inge Müller las ich, dass sie 1925 in Berlin geboren wurde. Dass sie verschüttet war und ihre toten Eltern aus den, mit denen sie drei Tage unter den Trümmern gelegen hatte, mit den Händen ausgegraben hat.
Aus Büchern ist zu erfahren, dass sie nach dem Kriegsende als Sekretärin, Trümmerfrau, Arbeiterin und Journalistin gearbeitet hat.
Von 1951 bis 1959 lebte sie in Lehnitz bei Oranienburg mit ihrem zweiten Mann. Dann lebte auch Heiner Müller dort, den sie 1953 kennengelernt hat. Ihre schriftstellerischen Ambitionen führten sie zusammen.
1955 wurde er ihr dritter Ehemann wurde. Sie zogen zusammen an den Kissingenplatz, arbeiteten zusammen an mehreren Stücken. Sie schrieb Hörspiele und Texte fürs Theater. Ihre Bearbeitung von Viktor Rosows Stück »Unterwegs«, 1964 uraufgeführt, war ein Riesenerfolg. Aber es ist auch zu lesen, dass als Übersetzer und Bearbeiter lange Zeit Heiner Müller angegeben war.

Es kam zwischen ihr und dem Dramatiker nicht zu der erträumten künstlerischen Gemeinschaft. Sie wird von der geliebten Frau zu beiläufigen Assistentin. Sie will mehr und sie geht ihm damit auf die Nerven, gefährdet seine Kreativität, wie er befürchtet. Er zieht sich zurück und sie setzt nach. Sie wird krank und depressiv. Die traumatischen Erfahrungen zum Kriegsende tragen das Ihre bei. Immer wieder versucht sie den Suizid, am Ende glückt er ihr. Er steht im Rufe, sich ihrer bedient und sie dann dem Vergessen anheimgegeben zu haben.

Das alles habe ich nachgelesen, Aber seit vielen Jahren habe ich Verszeilen von ihr im Kopf. Aus dem Jahr 1966.
Da erschien die erste Ausgabe der Lyrikanthologie "Auswahl 66". Viele erste Arbeiten, die vergessen sind, aber auch schon bekannte Autoren waren vertreten.
Es war eine Zeit für Lyrik und ich hatte einen guten Freund, der da auch vertreten war.
Unter den Dichtern als einzige Frau: Inge Müller. Ein Foto von ihr dabei - eine schöne Frau.

Ich las:

Trümmer 45

Da fand ich mich
Und band mich in ein Tuch
Ein Knochen für Mama
Ein Knochen für Papa
Einen ins Buch

Und

Baal

Baal zieht die Schuhe aus
trägt die Füße in der Hand
Katze läuft vor der Maus
Blut stürzt die Wand

Solch gewaltige, bedeutungsschwere Worte bleiben im Gedächtnis.

Inge Müller wurde in Pankow begraben, aber nur noch eine Stele erinnert an sie. Das Grab ist eingeebnet.
Es blieb die Tafel an einem inzwischen renovierten Haus.

Inge Müllers Existenz aber und vor allem ihr Abschied daraus sind eingegangen in Heiner Müllers Werke. Ophelias Monolog in der Hamletmaschine ist eines der schockierenden und faszinierenden Beispiele dafür.
"Ich bin Ophelia. Die der Fluß nicht behalten hat. Die Frau am Strick. Die Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern. Die Frau mit der Überdosis AUF DEN LIPPEN SCHNEE. Die Frau mit dem Kopf im Gasherd. Gestern habe ich aufgehört mich zu töten. Ich bin allein mit meinen Brüsten meinen Schenkeln meinem Schoß. Ich zertrümmere die Werkzeuge meiner Gefangenschaft den Stuhl den Tisch das Bett. Ich zerstöre das Schlachtfeld das mein Heim war. Ich reiße die Türen auf damit der Wind herein kann und der Schrei der Welt. Ich zerschlage das Fenster. Mit meinen blutenden Händen zerreiße ich die Fotografien der Männer die ich geliebt habe auf dem Tisch auf dem Stuhl auf dem Boden. Ich lege Feuer an mein Gefängnis. Ich werfe meine Kleider in das Feuer. Ich grabe die Uhr aus meiner Brust die mein Herz war. Ich gehe auf die Strasse gekleidet in mein Blut."

Am Ende ist sie - verschüttet in Heiner Müllers Texten - wieder freigelegt worden. Von Frauen und Männern.
Zwei Literaturwissenschaftlerinnen Sonja Hilzinger und Ines Geipel widmen sich ihr.
Aber auch der giftende Wolf Biermann dichtete in der taz und später als gedachten Vorspruch zu einer Anthologie im Aufbau-Verlag.

"Legende vom Selbstmord der Inge Müller im Jahre '66"

"Unter Trümmern in Berlin, nicht unterm Regenbogen/Lag die Dichterfrau verschüttet, ward herausgezogen/Blieb halb tot im Frieden, hat sich ganz dann hingegeben/Einem Müller, Heiner - auch genannt: Der Steineklopper/Tiefer, unter ihm, verschüttet, lag sie nach dem Kriege". In dem umstrittenen Passus heißt es weiter: "Und sie flieht aus ihres genialen/Mackers Mickerleben/Und sie springt dem guten Tod,/Freund Hein, auf seine Schippe."

In seinen "Männerfantasien" schreibt Klaus Theweleit.
"Am Rand des Königswegs unserer abendländischen Dichtergenies liegt immer eine Frauenleiche."

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