Mittwoch, 27. September 2006

Idomeneo und BILD

Gefährdungsanalysen

In Berlin wurde die Wiederaufnahme der Oper "Idomeneo" durch die Indentantin verhindert, weil das LKA eine Gefährdungsanalyse erstellt hat, die Angriffe nicht ganz ausschließt.

Grund dafür ist, dass in der Schlussszene die abgeschnittenen Köpfe der Religionsstifter Poseidon (als Vertreter der antiken Götterwelt) Jesus, Buddha und Mohammed präsentiert werden. Das gab schon bei der Premiere Proteste, allerdings mehr von der christlichen Seite.

Es war sicherlich übertrieben, die Oper abzusetzen. Die Gefährungsanalyse war zu ungenau.
Aber nach der Lektüre des "Merkur"-Beitrages von Gerhard Henschel über BILD: ("Von Tag zu Tag wird's schmutziger") und den Rezensionen über sein gerade erschienenes Buch: "Gossenreport. Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung", stellt man erleichtert fest, dass es durchaus zutreffende Gefährdungsanalysen gibt. Erfreut konstatiert man: Du bist nicht allein mit dem Erstaunen darüber, dass eine Gesellschaft, die sich freiheitlich nennt, Unterdrückungen anderswo und in anderen Zeiten anprangert und eine neue Bürgerlichkeit anstrebt, sich von diesem Blatt kujonieren lässt.

Wenn es um BILD geht, hat man immer das Gefühl, die Leute rümpfen zwar die Nase, aber sie finden es uncool, sich über diese - sowohl für den gesunden Menschenverstand als auch für den Geschmack - unglaubliche Zumutung aufzuregen.

BILD erscheint mir manchmal schlimmer als die Stasi - zumindest bedienen die sich bei ihrer Jagd nach schlüpfrigen, widerlichem Unterhaltungsstoff der gleichen Methoden: Üble Nachrede, Erpressung, Rufmord. Die ekelerregende Kampagne gegen die junge Türkin Sibel Kekkili,die man nach ihrem Erfolg in "Gegen die Wand" mit ihrem Auftritt in Pornofilmen erpresste und danach versuchte, ihr ein Interview mit der Drohung, sonst ihre türkischen Eltern zu belästigen, erpressen, was dann auch geschah.
Selbstmorde sind bei diesem widerlichen Treiben hinnehmbare Kollateralschäden.
Es fehlt nur noch das Anlegen von Geruchskonserven, aber das ist offensichtlich beim Schnüffeln in fremden Betten und Unterhosen nicht nötig.

Der größte Skandal aber ist, dass sich Politiker in liebedienerischer Kriechhaltung diesem Medium nähern und glücklich sind, wenn sie dort veröffentlichen dürfen. (Gerhard Schröder sagte ja einprägsam, er regiere mit BILD, Bams und Glotze)

Ein Rezensent nennt den Umgang mit diesem Blatt eine Variante des Stockholm-Syndroms. Da es offensichtlich nicht möglich ist, sich wirksam gegen BILD zu wehren, macht man damit einen prekären Frieden, flüchtet in leichten, kurzzeitig erleichternden Spott. Skandalisierung scheint niemandem angebracht.

Also ich empfehle dringend die Lektüre des Beitrages von Gerhard Henschel und auch sein Buch werde ich mir bestellen.
Es wird wenig bewirken. Aber in Zeiten, da heiliger Zorn gegen eine Oper ernstgenommen und ihre Aufführung abgesetzt wird, sollte ein aufgeklärter Zorn gegen eine solches widerliches Produkt des Niederganges der Sitten ernstgenommen werden.
Man sollte die BILD-Zeitung absetzen. Auch wenn es eine Illusion ist, dies zu fordern.
Aber: Die Zeit ist reif für übersichtliche Utopien.

Gerhard Henschel: "Gossenreport. Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung" Edition Tiamat, Berlin 2006.

Und ein Link: http://www.taz.de/pt/2005/12/10/a0268.1/text

Das Feuilleton und Idomeneo

Ach ist das herrlich, wenn sich das Feuilleton so balgt. Und man darf bei den meisten Diskursen dabei sein, denn das Internet verschafft einen Überblick.
Ich denke, die Printmedien fürchten das Internet nicht deshalb, weil es ihnen journalistisch Konkurrenz macht, sondern wegen der intellektuellen Preisvergleiche, die durch die gleichzeitige Lektüre möglich sind.

Und da kriegt man so eine Vision, wie sie alle auf dem Kreativklo sitzen und einem Skandal oder einem Skandälchen oder einem event noch etwas abpressen.

So ist das nun mal: Diese Branche lebt davon, dass man seinen Senf dazugibt, aber die Würste werden immer mickriger und die Senfhaufen immer umfangreicher.

Und wie immer, wenn eine Frau Mist gebaut hat, werden auch die Stimmen mancher Männer schriller.
Und die Frauen sind meist noch unbarmherziger als die Männer.

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