Sonntag, 28. Januar 2007

Milan Peschel

Vor vielen Jahren – es war meine erste Arbeitsstelle – hatte ich eine Kollegin, die zwar sehr freundlich war, aber zu allen Leuten doch einen unüberwindbaren ironischen Abstand hielt. Sie war in meinem Alter, klein wie ich, recht stämmig und hatte ein lustiges, bebrilltes Gesicht. Wir alberten zusammen, lachten viel, aber sie sprach selten ernsthaft. Alles durchlief bei ihr eine Art von Verfremdungsmechanismus, so dass sie über ernste Sachen sehr albern und über alberne Sachen todernst reden konnte. Ich fragte sie mal direkt, warum sie das tut. Das war dumm, denn die Antwort hätte ich mir auch selbst geben können. „Mein Gott, jeder braucht seine Masken“, antwortete sie mir unwillig.
Sehr imponierte mir ihr Mut, sich so zu präsentieren, wie sie selbst es für gut und richtig hielt. Sie trug – entgegen allen Ratschlägen von Modeexperten - noch immer Miniröcke und lief mit ihren runden, festen Beinen nachdrücklich auftretend durch das Haus. Sie war verheiratet und hatte ein Söhnchen von damals drei oder vier Jahren. Von ihm sprach sie immer in liebevollstem Ton, mit ihrem Mann hatte sie immer mal wieder Zank.

Wir, der Mann von uns drei Kollegen der kleinen Abteilung, und ich - zogen sie mit diesem Söhnchen immer auf, weil er den Namen „Milan“ führte. Der Name ist im tschechischen so habe ich gehört, gar nicht so selten. In unseren Breiten war er selten und bekannt nur als Name für einen Vogel. Wenn wir die Kollegin necken wollten, trugen wir ihr immer Grüße auf an den „weißen Milan“ oder fragten, was das Vogeljunge so treibt.

Bald trennten sich unsere Wege. Ich kündigte und arbeitete anderswo. Erst nach der Wende sah ich sie mal bei einer Behörde und wir grüßten uns von weitem. Bald schon tauchte der Name, dessentwegen wir sie immer so geneckt hatten, in anderem Zusammenhang auf. Auf dem Besetzungsplan von Castorfs Ostberliner Volksbühne stand ein Milan Peschel, erst seltener dann immer öfter.
Und als sie kürzlich diesen hübschen Film „Netto“ im Fernsehen zeigten, da sah ich ihn zum ersten Mal in einer Hauptrolle. Und sofort fiel mir die große Ähnlichkeit mit seiner Mutter auf. Inzwischen macht er alles, was es an kreativem gibt auf diesem künstlerischen Feld. Er spielt in Filmen, Haupt- und Nebenrollen, jetzt zum Beispiel in dem Film über Uschi Obermaier, in „Lenz“, einer Büchnerverfilmung, er führt auch Regie am Gorki-Theater.

Heute hat er in der „Berliner Zeitung“ ein langes Interview. Da erzählt er auch über seine Mutter ein bisschen, über die schwierigen Verhältnisse, in denen sie aufgewachsen ist. Das wirft noch ein genaueres Licht auf die Gründe für ihr Verhalten. Er hat ein gutes liebevolles Verhältnis zu ihr. Das kann man da nachlesen. Wie sie ihn und seine Schauspielerneigungen behutsam gefördert hat und wie sie für sich selbst ein neues Leben begonnen hat und dass sie jetzt in einem Haus zusammen wohnen. Das ist schön.

Sehr gefreut habe ich mich, dass er – befragt nach seiner Meinung über „Das Leben der anderen“ – dezidiert feststellt: (Das) „ist für mich kein Film über die DDR“. (Er ist) „Ein halbwegs gut gemachter Hollywoodfilm mit deutschen Schauspielern. Ein richtiger Konflikt, den ein Mensch mit sich und seinen Idealen hat, sieht ganz anders aus.“

Es ist schon so: Ohne das Internet hätte ich diese interessante Laufbahn nicht so schnell in den Blick bekommen.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/magazin/624011.html

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