Literarisches

Donnerstag, 28. Januar 2010

Jerome D. Salinger

Wenn ich mich recht erinnere, erschien Salingers „Fänger im Roggen“ in der DDR in den sechziger Jahren. Ich las es wohl nur ,weil es ein englischer Autor war, wie ich dachte. Und dann hatte ich ein Gefühl von Verstanden werden, einfach so als junger Mensch. Auch ich als junges Mädchen kannte das Gefühl, wenn man Ball spielt bis in die Dämmerung und will nicht nach Hause, weil es so gut ist und die Welt so in Ordnung und alles stimmt, wie es gerade ist.
Bei Salinger spielten sie Fußball ,bei uns war es irgendein Völkerball.

Oder dieser Knaller mit dem hochüberlegenen Schulfreund, der reich ist und seiner Sache so sicher. Dieser verletzte Held mit der kleinen Schwester Phoebe, in die ich mich auch gut reindenken konnte. Die ganze Geschichte rührte mich damals zu Tränen. Und ich wünschte mir, so schreiben zu können.
Vorher war mir das nur einmal noch passiert, dieses Gefühl, dass ich das kenne, dass ich so fühle, auch wenn die Geschichte nicht die meine ist. Das war bei Bölls „Haus ohne Hüter“.
So ist eben Literatur. Man kennt es, auch wenn es eine Geschichte ist, die man nicht kennen kann.
Er ist gestorben der völlig von der Welt zurückgezogene Autor. Ein Treffer mitten ins Herz der Zeiten – dann kam von ihm nichts mehr.

Donnerstag, 21. Januar 2010

Noch einmal: Schreibängste

Es ist schon so. Einmal, irgendwann einmal muss man sich zu dem bekennen, was man ist. Entweder man hat den Mut und packt seine Sachen aus oder sie bleiben für alle Zeiten im Beutel, Wandersack in der Tasche in den Hosentaschen wo auch immer man sie vergraben hat. Und wenn man sich bekennt, dann gibt es auch ein Urteil und wenn es ein Urteil gibt, dann kann es das Ende sein. Also verschiebt man das Auspacken und lässt die Sachen da wo sie sind.

Nur ab und an lässt man was sehen – soviel, dass es immer nur einen Eindruck gibt. Dass immer nur ein wenig zu sehen ist von dem, was man noch eine Weile für sich behält. So ist das eben.

Was ist der Preis dafür? Man erfährt nie was Genaues über sich. Man bleibt immer jemand, der vielleicht, aber auch nur vielleicht Hoffnungen weckt, und wenn jene, bei denen man die Hoffnungen geweckt haben, mehr wissen wollen, dann hält man sie hin, dann lässt man sie warten, dann bleibt man bei sich bis die Hoffnung geschwunden ist. Und weil das traurig macht, muss man neue Leute suchen, die man mit Fragmenten beeindrucken kann, bis auch sie das Ganze sehen wollen und das Pokern ein Ende hat. Dann kann man wieder gewinnen oder verlieren. Für immer Bescheid wissen, das ist etwas wie das Sterben. Wenn es ein Urteil gibt, dann ist man eigentlich tot, dann ist man erledigt.

Warum warum nur diese Furcht vor dem Urteil. Es kann doch auch heißen lebenslänglich begnadigt.

Mittwoch, 20. Januar 2010

Lamento über das Schreiben

Sowohl meine frühere Arbeitsstelle als auch unsere Wohnung lagen so zentral, dass der Weg kurz war und ich auf vielen Wegen von Haus zu Haus gelangen konnte. Unterwegs - wenn ich an der Osloer Straße von der Straßenbahn in die U-Bahn wechselte, an der Schönhauser Allee auf die Straßenbahn wartete oder durch die Unterführungen am Alexanderplatz eilte, fiel mir Ingeborg Bachmanns Erzählung "Drei Wege zum See" ein.

Mit ihr trat für mich eine Erzählweise ins Leben, die wie ein Echo auf die Fragen anmutete, die auftauchten, wenn in mir der Wunsch, selbst zu schreiben zu einer Art von leidenschaftlicher Sehnsucht anwuchs. Ihre Erscheinung war in meinen Augen die personifizierte Warnung vor solchen riskanten Abenteuern. In allen Aufnahmen, die ihre öffentlichen Auftritte dokumentieren, sieht sie stets so aus, als ginge sie in den nächsten fünf Minuten zugrunde am Elend der Welt und der eigenen Schutzlosigkeit.

Die Filmaufnahme von Ingeborg Bachmanns Lesung des Gedichts: "Erklär mir, Liebe" mit gebrochener Stimme und der durch die Möglichkeit des Scheiterns erzeugten Spannung scheint mir wie eine Mahnung. Oft wurde ihr vorgeworfen, sie inszeniere das nur. Das trifft aber nicht die Wahrheit. Seit ich sie so lesen sah, weiß ich, dass dies untrennbarer Bestandteil ihrer Arbeiten ist.

Schreiben ist keine Kleinigkeit, die mit ein wenig Talent, ein wenig gutem Willen, ein wenig Fleiß und einem etwas größerem Ego zu bewältigen wäre, so scheint es mir. Es ist eine Selbstauslieferung. Und andauernd habe ich die Sorge, mein Inneres läge bloß, ich müsste jeden Tag neue Schutzwälle aufbauen, entschlösse ich mich, wirklich zu schreiben. Ist Leiden der Preis dafür dass Schreibende das Leben mit der Kunst betrügen? Ich weiß nur, dass es mehr Menschen gibt, die vorgeben an der Kunst zu leiden, als solche, die wirklich Kunst zustande bringen. Und meine Furcht vor Schreiben, die Furcht vor dem Erfinden und Finden von Abgründen, die ich vielleicht gar nicht finden will, begleitet mich schon mein ganzes Leben.

Etwas aus meinem Leben aufzuschreiben, damit es nicht der Vergessenheit anheim fällt, das kann ich ganz ordentlich. Tatsachen kolportieren, Bericht erstatten, das habe ich gelernt. Aber ich habe nie gewagt, allzu weit von dem abzuweichen, was das wirkliche Leben vorgibt.

Die Illusion der Realität, der „ganzen Wahrheit“ ist eine verlässliche Stütze und verdeckt, was ich eigentlich sagen will. Was ich eigentlich sagen will aber verschwindet jedes Mal, wenn ich am Anfang einer Seite sitze. So kann ich nicht von dem Gedanken lassen, dass wirkliches Schreiben etwas von einer Opferhandlung hat und mit der Bereitschaft , sich auszusetzen. Man muss bezahlen, wenn man etwas schaffen will. Ich werfe mir vor, dass ich dieses Opfer nicht bringen will.

Vielleicht ist alles auch ganz anders - vielleicht bringen andere, die schreiben wollen, dieses Opfer voll Eifer und Freude, weil es für sie nur eines von vielen Hindernissen ist, das sie auf dem Weg zum eigenen unbeirrbar verfolgten Ziel überwinden müssen. Vielleicht machen sie daraus auch einen Bestandteil ihrer Kreativität wie die mir so eingeprägte Bachmann. Ich weiß es nicht, aber ich denke schriftlich lieber darüber nach, als vor einem leeren Bogen zu sitzen. Täte ich das nicht, müsste ich ja anfangen wirklich zu schreiben.

Montag, 18. Januar 2010

THERAPEUTISCHE BÜCHER

(Wish I could find a good book to live in)

Im Dezember1988 notiert der Schriftsteller und Dichter Peter Rühmkorf (1929-2008)
in sein Tagebuch TABU I: „Das Gefühl, dass etwas zu Ende geht, Zur Hälfte bereits abgestorbenes Zeug, das man mit sich herumschleppt. Erledigte Stoffe. Hadesgepäck. Und kein tröstliches Buch, in dem man rückstandlos verschwinden kann.“.

Wer kennt solche Gefühle nicht, wer hebt nicht manchmal irritiert die Augen von einem Buch, weil es ihn soeben entlassen hat aus seiner Welt in die eigene wie sie ist.

Oder, wer bekommt nicht Sehnsucht nach diesem Buch - und möchte wieder hineinflüchten, weil es so gut getan hat, drin zu verschwinden und zu lesen. Es hat weniger mit dem Bedürfnis nach Weltflucht, sondern – bei mir ist es so – mit dem Trost zu tun, den man daraus schöpft, dass es den Romanhelden ähnlich geht, wie einem selbst. Viele Leser wollen von Büchern nichts als entführt werden, ich nicht. Ich will erinnert werden, wie das wirkliche Leben ist und manchmal daran, dass es nicht so schlimm ist, nicht die Katastrophe, die ich befürchte.
Bücher mit einer therapeutische Wirkung nenne ich solche Lektüre. Manchmal nur für eine bestimmte Zeit, manchmal auch für immer.

Solche Sachen werde ich in einer kleinen Reihe vorstellen.

TAGEBUCH DER ARMUT

Warum lese ich immer wieder ein Buch, in dem eine Frau aus den Favelas von Sao Paulo schildert, wie sie täglich gegen den Hunger kämpft, durch die Straßen von Sao Paulo mit ihrem Müllsack eilt und Abfall sammelt?
Das Buch, in dem davon die Rede ist, heißt „Tagebuch der Armut“ und stammt von der schwarzen Brasilianerin Carolina Maria de Jesus.
Erschienen ist es schon zu DDR-Zeiten in der Reihe Documente des Reclam Verlags. Es ist ein authentischer Bericht, denn es hat sie gegeben, diese Carolina Maria de Jesus. Sie lebte mit ihren zwei Kindern, Vera und Joao, in einer neun Quadratmeter großen Bretterbude.

Ende der fünfziger Jahre begann sie jenes Tagebuch, in dem sie berichtet, wie sie leere Flaschen sammelt und verkauft, wie viel sie dabei verdienen konnte für den Tag und wie sie versucht, ein bisschen Fleisch am Kühlhaus zu ergattern, bevor es mit Lauge übergossen wird, wie sie zur Wasserstelle geht und sich mit den Frauen unterhält und streitet, wie sie ihre Kinder vor den Schlägen ungeduldiger Nachbarn schützt, wie sie ihrer Tochter neue Schuhe schenken kann, weil sie auf einen mildtätigen und an ihr sexuell interessierten Menschen trifft und wie sie jeden Abend hofft, der nächste Tag würde besser. Und wie sie erlebt, dass der Hunger alles in gelbe Farbe taucht. Der Hunger, der überall ist und der sie jeden Tag aus den Gesichtern ihrer Kinder anblickt.

Nein, ich lese das nicht, weil ich mich dann befriedigt zurücklehnen und mir sagen kann, wir sollten doch zufrieden sein, weil es einem ja doch gut geht, wie es neoliberale Moralisten empfehlen. Ich lese es, weil es eine Sprache ist, die einfach und doch tief zu Herzen gehend ein Leben schildert, das menschenunwürdig ist und in dem sich trotzdem seine Würde zu bewahren eine tägliche, übermenschliche Anstrengung bedeutet.

Ich verfolge dieses Leben auch deshalb weil ich Tagebücher liebe, die den Alltag beschreiben. Und der Alltag hat viele Gesichter überall auf der Welt.
Deshalb ist dieser alte Reclam Band schon ein bisschen zerlesen. Ich schlage ihn auf, so als besuchte ich diese Carolina mal wieder und fragte, wie es ihr geht.

Es ist kaum noch möglich, in Worten, die nicht verschlissen und abgegriffen sind, das Elend zu benennen . Alles ist schon gesagt und darum lese ich – statt nach neuen unverbrauchten Worten zu fahnden - lieber nach, was schon niedergeschrieben ist, unverstellt und ohne Pathos. Aus Anteilnahme. Die Empörung stellt sich ohnehin ein, wenn man sich vor Augen hält, dass sich das Leben in den Favelas von Sao Paulo nicht geändert hat, eher ist es noch brutaler geworden.

Eines Tages trifft Carolina Maria de Jesus auf den Reporter Audalio Dantas und der schildert in einer Reportage ihr schweres Leben. Sie wird bekannt und erlebt voll Genugtuung, dass es sich gelohnt hat, das Buch führen über ihren täglichen Überlebenskampf. Das Tagebuch endet am 1. Januar 1960 mit den Worten: „Ich stand um 5 Uhr auf und ging Wasser schleppen“. Ich fragte mich oft, was aus ihr geworden sein mag, denn immerhin deutete sich indem Buch eine Wende an.

Fortsetzung: „Das Haus aus Stein“

Erst vor einiger Zeit habe ich erfahren, dass dieses Buch eine Fortsetzung hat, und die ist nur bedingt ermutigend. Nicht nur Audalio Dantas Reportage wird ein Erfolg, sondern auch das gesamte Tagebuch wird gedruckt und weltweit ein Erfolg.

Dieser plötzliche Reichtum ist anfangs ein Segen für Carolina. Sie zieht in ein neues, das steinerne Haus, in eine neue Umgebung, in der sie sich aber fremd fühlt. Sie gibt ihr Geld mit vollen Händen aus, gibt auch vielen Armen und Notleidenden davon ab, lässt sich auf finanzielle Abenteuer und auch allerlei bizarre Medienauftritte ein. Irgendwann verarmt sie wieder und stirbt erneut in einer Hütte. Sie hat es nicht geschafft, sie war zu unerfahren mit dem Leben außerhalb ihres Umfeldes, sie hatte schlechte Berater und fiel den üblichen Geschäftemachern zum Opfer. Auch der Reporter Audalio Dantas konnte sie nicht davor bewahren .
Aber die Kinder Vera und Joao leben inzwischen in anderen Verhältnissen. Sie haben einen Beruf gelernt und Vera hat einen Facharbeiter geheiratet und lebt außerhalb der Favelas.
Traurig hat mich diese Wiederbegegnung trotzdem gestimmt. Das Leben ist keine Happy end Geschichte.
Dennoch lese ich das „Tagebuch“ immer mal wieder nach. Denn nach wie vor sind es wenige, die es aus der Favela in ein Haus aus Stein schaffen.

Sonntag, 8. März 2009

Die DDR in Dresden oder Tellkamps Turm

Uwe Tellkamp "Der Turm" - eine Verschwörungstheorie

So also war das. Die DDR war ein kleines Land, so klein, dass sie in Dresden stattfinden konnte. Und zwar auf einem kleinen Hügel, den sie beschönigend Weißen Hirsch nannten. Aber dieser Weiße Hirsch war verschmutzt von Kohlenstaub und kontaminiert durch totalitären Zugriff auf alles, was sich dort abspielte. In dieser DDR also, auf dem Dresdner Hügel, wohnten auf der einen Seite die Gedrückten und Angepassten, aber Hochgebildeten und litten an ihrem ständigen Unbehagen an der Diktatur. Sie wohnten in sehr schlecht verwalteten Villen. Man setzte ihnen, den halbwegs Privilegierten, noch privilegiertere Untermieter - raumgreifende Funktionärssöhnchen - in den ohnehin knappen Wohnraum. Wollte man nicht abgehört werden, musste man eine Runde im Freien durch Westrom drehen. Westrom - so hieß diese Seite der bürgerlichen Untertanen. Das war Westrom. Auf der anderen Seite - in einer militärisch bewachten Sonderzone - wohnten die Herrschenden, die waren noch wesentlich privilegierter als die Weströmer. Parteifunktionäre, angepasste Literaten, Apparatschiks aller Art - schreckliche Menschen insgesamt, einer von ihnen ein Schöngeist, aber böser Tierquäler.

Das war Ostrom. (Nicht zu verwechseln mit O-Strom, das ist eine besondere Form von Stromversorgung, die ohne Strom stattfindet)
Die Einwohner Westroms also litten unter den Zumutungen, denen sie durch die Herrschenden aus Ostrom ausgesetzt waren. Die Bewohner waren alle bürgerlich, aber woher dieses Bürgertum gekommen war bleibt völlig im Dunklen. Vielleicht von den Vorfahren - von denen einer Kommunist war und einst sogar im Hotel Lux logierte oder dem Handwerker-Vorfahr, der eine Tradition der schlagenden Uhrwerke hinterließ. Bürgerlich kann man immer werden auch ohne entsprechende Vorfahren, aber nicht Besitzbürger. Das verhinderten die von sowjetischen Satrapen beschützten oströmischen Marionetten. Die Bildungsbürger flüchteten darob verstärkt in Bildung, Bildung, Bildung. Und natürlich - das Cellospiel. Es gab auch reale Türmversuche aus dem Musennest Dresden, aber die missglückten aus technischen Gründen.

So geht es zu im landauf landab belobigten Werk "Der Turm" des Dresdner Autors Uwe Tellkamp. Wenn man das gelesen hat, tun einem die Dresdner Leid. Denn diese ganze DDR-Diktatur kann ja nichts anderes gewesen sein als eine Art Verwandtenstreit zwischen Ost- und Weströmern auf dem Dresdner Turm. Die einen waren kleinbürgerliche Funktionäre, die anderen waren Bildungsbürger. Sowohl das Werk von Tellkamp, als auch jene unterdrückten Menschen, die er sich bemüht mit Leben zu erfüllen, der Arzt, der Geisteswissenschaftler, der Künstler, werden von manchen Rezensenten hymnisch gefeiert, weil sie - durchgängig ihr Unbehagen an der Diktatur formulieren und dies in Worten und Wendungen, die auch der Nichtdiktaturerfahrene halbwegs versteht.

Überhaupt - es ist höchste Zeit für solch einen definitiven Singsang, denn es häufen sich die Klagen, dass sich beim Wissen über das Wesen der Diktatur in der DDR ganz erschreckende Defizite ausmachen lassen. Darüber wissen Schülerinnen und Schüler im Westen wesentlich mehr, als die im Osten. Das hat eine Studie ergeben. Wobei ,eigentlich ist dabei nur herausgekommen, dass die Schüler in Bayern z. B. einfach das Richtige wissen, während die im Osten auf ihre Eltern hören, die natürlich durch die Realität verblendet sind und auch nicht immer den Lehrplan in der Schule auswendig kennen.

Die Krankheit „Ostalgie“ bekämpfen

Dies schrie förmlich nach Änderung. Man musste jemanden finden, der aus dem Osten kommt und dennoch einen Sinn dafür hat, was über den Osten gern gehört wird. Eine Art Ost-West- Antenne musste der haben. Dann musste er noch gut schreiben können oder zumindest wollen. Und als er dann sein Buch zu Ende geschrieben hatte, musste man dekretieren, dass man das unbedingt gelesen haben muss, ja, dass vor allem jene, die an einer Krankheit namens Ostalgie leiden, ohne dieses Buch als unheilbar gelten müssen. Um diesem Schicksal oder Verdikt zu entgehen, wäre es für verstockte Ostalgiker am besten, diese oder jene der hymnischen Rezensionen auswendig lernen: Zum Beispiel die eines gewissen Tilman Krause in der "Welt". Der - ein ganz Begeisterter - postuliert dass dies das Buch des Jahrzehnts ist. Der Autor habe "den ultimativen Roman über die DDR, diese lächerliche sowjetische Satrapie auf deutschem Boden(geschrieben. Und zwar aus der Sicht derer, die nicht eine Sekunde daran zweifelten, dass sie dagegen waren. Das allein ist schon, nach all dem Wischiwaschi der Christa Wolfs, Volker Brauns, Christoph Heins und tutti quanti, eine nahezu erlösende Tat. So klar antikommunistisch, so voller schneidender Verachtung für das Proleten- und Kleinbürgertum, das 40 Jahre lang im Ostteil dieses Landes sein Gift verspritzen durfte, hat noch keiner, der aus diesen Breiten kommt, den Stab gebrochen." Aha, das ist die Botschaft und damit diese Botschaft auch sitzt, haben fast alle freundlichen Rezensenten die "Buddenbrooks" von Thomas Mann bemüht, um ordentlichen Glanz auf dieses Buch zu werfen. Mir aber scheint eine viel einleuchtendere Verbindung zu Thomas Mann über "Doktor Faustus" zu gehen. Weniger in der Form als in der Entstehungsgeschichte des Romans, die sich hier zu manifestieren scheint, könnte man etwas von der Versuchung des Dr. Faustus entdecken.

Dr. Fäustchen

Oder ist es doch mehr ein Dr. Fäustchen, in das sich ein Lektor gelacht hat, als er den Pakt mir Tellkamp schloss. Hat sich das Dresdner Bürgerkind zu einem Vertrag überreden lassen, mit dem Auftrag, den ultimativen Wenderoman zu schreiben, mit ganz sicherer Erfolgsgarantie durch das Rezensionsgewerbe? Hat der pfiffige Lektor eine Wunschliste abgeliefert, in der alle Reizworte, mit denen in den Zeiten nach der Wende die DDR charakterisiert wurde, verwendet und abgearbeitet werden: "Horch und Guck", die Jagd nach Delikatwaren, böse Schullehrer (die für Staatsbürgerkunde und Russisch), zynische Bonzen ,die Banane kommt auch vor - in vierzig Jahren DDR habe ich nicht soviel von der Banane reden hören, wie jetzt in den 20 Jahren danach. Allein das Unbehagen daran hat mich zu diesen Zeilen veranlasst. Ich weiß, ich verharmlose die Diktatur, aber die Tellkamp-Lektüre weckt solche Neigungen in mir.Es ist große Literatur schallt es landauf landab, aber ich finde, eine Ansammlung von Stilübungen ist noch kein Roman. Tellkamp will eine Fortsetzung vom "Turm" schreiben - das wird ein schöner Twintower.

Samstag, 10. Januar 2009

Netzbekanntschaften

Zuerst ein Blick aus meinem Fenster auf die schöne Schneelandschaft
Winterlicher Ausblick


Obwohl ich es gar nicht anstrebe oder forciere, mache ich im Netz immer mal wieder hochinteressante Bekanntschaften.

Erst kürzlich in einem Literaturforum. Ich bin darauf gestoßen, weil ich im Meer der euphorischen Rezensionen, die Uwe Tellkamps Buch „Der Turm“. zuteil wurden nach einer kritischen Stimme gesucht habe. Und – siehe da – ich wurde fündig. Ich fand einen, der – wie ich – ziemlich energisch die Meinung vertrat, dass das Buch überschätzt wird und auch warum er das meint. Nicht immer ganz gelassen und sachlich, manchmal auch unter Beschimpfung des Autors selbst, den er wohl irgendwie kennt. Und – wie das so ist – sofort wandte sich die dort vor sich hin schaukelnde Schöngeisterbahn dem unangenehm auffallenden Störenfried zu. Das sei wohl mal wieder ein Troll, mutmaßten die gebildeten Literaturfreunde.

War aber keiner, nur ein etwas unbeherrschter Zeitgenosse, der sich nicht lange um die Regeln der Diplomatie kümmert. Ich hing mein posting mit dran und erlebte ein sehr freundliches, zutunliches Echo. Ich war an einen Herrn aus Dresden geraten. Er schreibe selbst, teilte er mir auf eine Privatmail mit. Naja, dachte ich noch so bei mir, wer weiß, wer weiß. Dass er literarische Kompetenz besitzt, war mir schon deutlich. Er hätte lieber telefonisch mit mir weiterverhandelt, erklärte er mir noch, aber ich wollte das nicht. Er nannte mir seinen Namen und ich googelte herum. Es ist ein Autor mit wirklich beachtlicher Produktion. Ich habe mir gleich ein Buch von ich besorgt. „Am Ende war alles Musik“, zwei Musiknovellen über Clara Wieck und Johannes Brahms. Gut geschrieben, einfache klarer Stil, unprätentiös, aber gerade darum beeindruckend und überzeugend und von großem Gedankenreichtum. Einfühlsam hat er sich in seine Protagonisten versetzt.
Das tat ich ihm auch kund und dann gab es doch einen – von mir allerdings nicht so geschätzten – Telefonkontakt. Eine gemütliche sächsische Stimme.
So ist das manchmal, der Einzige, der selbst literarisch arbeitet, gilt als Banause im Forum der Literaturfreunde. Herrlich.

Dienstag, 16. Dezember 2008

Eine schöne Lesung

Eine schöne Lesung

Es ist schon einen Monat her, aber es war so klasse. Meine Lesung bei EWA. Es war zwar eine öffentliche Veranstaltung, aber ich habe auch privat dafür ordentlich Reklame gemacht. Und so waren wir eine ziemliche Runde.
Ich kann gut vortragen, habe Sinn fürs timing und sie haben Tränen gelacht. Rita, die bei EWA diese Veranstaltungen managt, hat, wird mich auch im nächsten Jahr wieder einplanen.

Samstag, 5. Juli 2008

Weltliteratur an den Karower Teichen

http://www.welt.de/welt_print/article2176210/Berlin_ist_immer_noch_verletzt.html

Heute war ein Interview mit Jonathan Franzen in der „Welt“. Er gibt bereitwillig zu allen möglichen Themen Auskunft, vor allem zu Berlin, das er noch immer als eine verletzte Stadt erlebt.
Er stellt – sich wiederholend – fest, dass ihn Berlin so reizt, weil es einfach nicht fertig ist. Er findet die neue USA-Botschaft nicht so richtig gut, will aber nicht dem allgemeinen Gemaule sekundieren.
Und er meint, dass New York und Berlin nicht vergleichbar seien. „In New York dreht sich alles ums Geld. Die Menschen dort werfen ständig einen Blick über ihre Schulter, ob hinter ihnen nicht jemand kommt, der besser ist. Von Berlin habe ich einen anderen Eindruck. Hier scheinen die Menschen Zeit zum Frühstücken zu haben. Und manchmal trinken sie einfach den ganzen Tag Bier.“
Wie wahr, wie wahr. (Hartz IV und Bier, das lob’ ich mir)

Aber das wirklich Rührende für mich war, dass Franzen zu den Orten, die ihn in Berlin faszinieren, weil sie so ruhig und unstädtisch sind, die Karower Teiche zählt. Das ging mir nahe. Er hat jene Biotope durchforstet – zwischen Tegel und Buch, durch die ich mich so oft und bewegt mit der S-Bahn bewegte, eine einzigartige Landschaft in der Stadtlandschaft.
Wie isses doch schön: Am literarischen Geschehen ist man nicht allein durch Teilnahme an literarischen events beteiligt, sondern vor allem durch die gleichen Gefilde, die man durchstreift.

Ein fantasierter literarischer Dialog könnte so gehen.

Frage: „Kennen Sie Jonathan Franzen?“

Antwort: „Ja, der Jonathan, ich streifte jüngst mit ihm um die Karower Teiche. Wir blickten auf das Wasser, deren Klarheit für Berlin noch immer erstaunlich ist. Von fern ratterte die Bahn und Franzen meinte: „Wie schön, dass hier immer und andauernd nichts fertig wird“.
Ich wandte ein: „Wenn nichts fertig wird, dann braucht man ja auch keine „Korrekturen“. Aber das focht ihn nicht an.

Jetzt muss ich „Die Korrekturen“ bloß noch lesen.

Dienstag, 31. Oktober 2006

Günter de Bruyn zum 80.

Wenn ich mich mal literarisch wieder erheitern will, dann lese ich ein Buch, das sicher nicht mehr allzu viele kennen. Es heißt „Märkische Forschungen“ und schildert den Leidensweg des DDR-Hobbyhistorikers Pötsch, der mit seinen Entdeckungen über einen preußischen Dichter in die Frontlinien der Erbepflege-Debatte in der DDR gerät.

Er trifft eines Tages zufällig sein großes Vorbild, den Germanisten Professor Menzel, und will ihm bei der Forschung über das Leben des von beiden verehrten Dichters Max von Schwedenow zur Hand gehen. Schon das ist ein herrliches Sittenbild über den Wissenschaftsbetrieb im Allgemeinen unter besonderer Berücksichtigung der DDR-Wissenschaftsscharmützel, - intrigen und –rankünen.

Der Landlehrer Pötsch entdeckt, dass der soeben für das sozialistische Erbe requirierte Dichter Max von Schwedenow nicht auf irgendwelchen Revolutionsbarrikaden sein Leben ließ, sondern nach einer sehr traurigen Liebesgeschichte sein Auskommen bei der preußischen Zensur fand – nix mit revolutionärer Vita, nix mit Einverleibung.
Das macht ihn zu einer Unperson, zu einem Gegner für den Germanistenmogul Menzel und das wird ihn teuer zu stehen kommen.

Aber wie der Autor Günter de Bruyn das schildert, das ist – nicht nur wenn man die DDR kennt – ein höchst spöttisches, aber überhaupt nicht galliges, stilistisch elegantes Stück zu einem Thema, das in allen Gesellschaften eine Rolle spielt – der Definitionsmacht nämlich. Wer bestimmt, wie was war und wer wer war und welcher Bannstrahl trifft den, der anderes als das Definierte meint.

De Bruyn wurde in der DDR Mitte der 60er Jahre schlagartig bekannt mit seinem Eheroman „Buridans Esel“, später schrieb er „Preisverleihung“ und „Neue Herrlichkeit“, sehr kritische Bücher, die auch im Westen ihre Leser fanden.
Morgen wird er 80 Jahre alt. Ein Balance-Künstler zwischen Anpassung und Eigenwillen, ein zeitlos großer Autor und übrigens bei den Frauen auch sehr beliebt.
Auch Angela Merkel will zu seinen Ehren erscheinen.

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