Musikalisches

Mittwoch, 3. Februar 2010

Nächtliches Kunsterlebnis

Letzte Nacht konnte ich lange nicht einschlafen - weiß nicht warum. Vielleicht der Wetterwechsel. Also nahm ich resigniert den Knopf ins Ohr und lauschte noch ein bisschen Radio. "Neue Musik" heißt eine Sendung, die ab 0.00 Uhr bei www.dradio.de läuft.
Vorgestellt wurde ein Musikwissenschaftler, Moderator im Rundfunk gefürchteter Berichterstatter über etliche einschlägige Festivals und Komponist namens Arno Lücker

http://komposition.system.at/index.html

Ehrlich - es war hochinteressant. Zum einen, weil ein kluger Kollege und Mitkomponist namens Johannes Kreidler http://www.kreidler-net.de/
die aktuelle Sendung über Lücker gestaltet und dabei viel erklärt hat.

Der Wechsel vom Tonalen zum Atonalen

Die Loslösung der Musik von ihrem tonalen Rahmen und Regelwerk bei gleichzeitiger Verwendung von Instrumenten, die aber noch nach diesem Rahmen funktionieren wurde erklärt. Die kompakte Speichermöglichkeiten auf der Festplatte und die dadurch möglichen unglaublichen Misch- und Kompositionsmöglichkeiten waren ein Thema. Alles sehr spannend. Und - so das Credo des Komponisten selbst - dass der Übergang von der tonalen zur atonalen Musik auch begleitet sein muss von größerer Individualität, wenn diese nicht im Klischee erstarren will. Ich muss sagen, ohne diese ganzen Einlassungen hätte ich das, was dann kam, als absolut irritierend und blöde abgetan. Aber so...

„Ich...nicht“ mit Kotzgeräuschen

Das Stück um dessen Aufführung vorher so viele Worte gemacht wurde, hieß: „Ich ....nicht.“ Den Hintergrund erklärte der Schöpfer in einem Interview: Er hat einen Liebesschmerz vertont. Eine vertraute, gemeinsam mit der einstigen Geliebten gehörte Musik - nämlich Robert Schumanns "Ich grolle nicht" - wird mit Streichern angedeutet, „ausgelegt“ oder in dekonstruierter Form „aufgegriffen“. Das quietscht ein bisschen, aber ist doch noch plausibler Geigenton.
Zunehmend unterlegt werden diese Streicherquietscher mit den Geräuschen, die ein Mensch erzeugt, wenn er sich erbricht. Der Komponist nannte das unfrisiert: "Kotzgeräusche". Ich sage Euch, das war ein Klangerlebnis. Gemeint ist, dass ein solch vertrautes Lied, wenn es einen so schmerzvoll erinnert, dann zum Kotzen ist. Punkt. Und es endet folgerichtig auf den ersten tonalen Takt des Schumann-Liedes.

Wirklich ein aufstörendes Erlebnis. Zum Einschlafen hat es mich nicht gebracht, sondern eher ein bisschen zum Lachen. Aber der Komponist hatte vorher schon einmal erklärt, ihm sie wurscht, wie die Zuhörer reagieren.

Eigene Kompositionsideen
wieder ad acta gelegt


Meine Reaktion hatte damit zu tun, dass nebenher auch noch ein bisschen das Schnarchen des Gatten zu hören war. Mich hat das zu der Erwägung gebracht, mal ein eigenes Werk - vielleicht mit diesem Hintergrund - zu erschaffen. Aber ich nahm Abstand, denn eigentlich stört mich dieses leichte Schlafgeräusch nicht. Es wohnt ihm also nicht die erforderliche Dramatik inne.

Ohne verbale Einführung
geht alles nicht


Genug gekaspert: Es war trotzdem noch interessant.
Nur ohne den entsprechenden verbalen Rahmen versteht der Rezipient das einfach nicht. Wobei: Darum gehts auch nicht. Es geht dem Autor einzig um eine für ihn authentische wahrhafte Gefühlsäußerung. Was die Leute damit anfangen ist ihm, wie schon erklärt, völlig egal.

Das nächste vorgestellte Werk war eines für Trompete mit Einspielung.
Der Komponist hat die in sämtlichen Bruckner-Sinfonien zu hörenden Blechbläserparts und alle tutti aus denen das Blech deutlich herauszuhören war, herausgeschnitten und zusammenkomponiert.
Das war gar nicht mal so uninteressant.

Hier der ausladende Name des Werkes:
I was like: "Oh my God!"
And she was like: "What the fuck!"
And we were like: "Oh my God, what the fuck!"
(für Trompete und Zuspielung) (2008/2009)


Und ganz spannend war ein Grunge für Klavier, bei dem ein Stück der Popband Nirwana - mehroktavig bearbeitet und verwendet wird.
Also das klang gut, aber ich war dann schläfrig.

Ich bin weit davon entfernt, den kleinbürgerlichen Schöngeist rauszuhängen und zu jammern, dass das ja alles so...usw. Kurzerhand auch „ich grolle nicht“. Aber, anfreunden ist auch schwer.

Das Einzige was man mit Fremdem tun kann ist: Verstehen lernen, lieben muss man das nicht.

Andererseits: Es gibt ein ganz wunderbares Komponiersystem im Internet. "Ludwig" heißt das. Damit kann man Töne kompositorisch bearbeiten. Allerdings, soweit ich das übersehe, nur tonal.

http://www.komponieren.de/?gclid=CPXM3PzP058CFQGA3godwzL4cw

Ich habe es mal ausprobiert, aber ich bin nicht mehr firm genug in der Musiklehre Andere schaffen damit ganz epochale Werke. Bei mir waren es nur drei Töne, dann blieb sie hängen die Anwendung, die ganz schön viel Arbeitsspeicher braucht.

Atonal aber geht da wohl nichts - das ist, wie ich gelernt habe, an keine Regel gebunden, sondern immer ganz individuell.

Individuell muss ich sagen, dass ich trotz der gehabten neuen Einsichten und Einhörungen dann doch eine ruhige Nacht verbracht habe.

Mittwoch, 21. Mai 2008

Ein musikalischer Arztbesuch

Erna Berger "Auf Flügeln des Gesangs"

Es war ein glücklicher Umstand, dass ich bei einem – eher beiläufigen – Besuch beim Arzt ein gerade auf dem Pankower Markt gekauftes Buch in der Tasche hatte. Ich musste – erwartungsgemäß – über eine Stunde warten, wegen zwei Überweisungen und einem Privatrezept. Also las ich im Wartezimmer „Auf den Flügeln des Gesangs“, die Autobiographie von Erna Berger. Faszinierend, weil sie erstens schon in jungen Jahren ein interessantes und abenteuerliches Leben geführt hat, vor allem aber, weil sie zweitens so viel über das Abenteuer „Singen“ erzählt. Geradeheraus ohne Eitelkeiten erzählt sie da zum Beispiel von enormen Stimmproblemen als sie Ende 40 ist und die Wechseljahre langsam beginnen. Die berühmt leichte und schlanke Stimme will nicht mehr so leicht die Höhen erreichen. Sie gewöhnt sich eine völlig neue Gesangstechnik an. Spannend ist so was.

Diese Sänger haben ja alle irgendwo einen Stich, aber den aus guten Gründen.
Der ganze Körper ist beim Singen ein Instrument. Die technischen Empfehlungen sind herrlich: Sie soll den Ton „von oben durch den Körper herunterziehen.“ Dann aber wieder soll sie „den Körper ganz weit öffnen und unten durchsingen, das hohe C muß quasi durch die Beine kommen.“

Ja, was denn nun, fragt man sich von oben oder von unten? Egal sie schildert das alles so unprätentiös, dass es Freude macht. Wie sie beim Singen flach auf dem Boden gelegen, dann wieder die Stirn an die Wand gepresst hat. Mir gefiel auch sofort, dass sie am Beginn bar allen Ehrgeizes war. Immer haben andere ihr empfohlen, sich die Stimme doch ausbilden zu lassen und eine Bühnenlaufbahn anzustreben. Sie aber dachte, dass sie mit ihren 1,50 Metern ohnehin nicht als Opernsängerin in Frage kommt.

Aber – sie kam die Karriere – in Dresden begann sie in kleinen Schritten, mit den berühmten „Wurzen“, dann kam die Staatsoper Berlin – mit den üblichen Loyalitätsbekundungen gegenüber den Nazis. Sie bezeichnet sich als völlig unpolitisch – das sagen die meisten. Sie hat – belegbar – auch Gefolgschaft verweigert. Das Kriegsende erlebt sie in Berlin und schafft in den vierziger Jahren noch einmal den großen Sprung an die Metropolitan Opera. Als ich gerade an dieser Stelle war, musste ich ins Sprechzimmer.

Ich habe mir gleich zu Hause die Erna Berger CD rausgesucht, die irgendwo noch im Regal stand. Meine Mutter mochte diese scheinbar so leichte und beseelte Stimme. Als Kind habe ich mir immer mal wieder einen Defa-Film – 1949 gedreht - angesehen „Die Hochzeit des Figaro“. Da spielt die Schauspielerin Angelika Hauff, die Stimme aber ist von Erna Berger. Mich hat immer gewundert, dass die männliche Hauptrolle mit dem Sänger selbst – Willy Domgraf Fassbaender – besetzt war, die weibliche aber so sonderbar geteilt. Erna Berger berichtet, sie habe zu der Zeit, als der Film gedreht wurde, Verpflichtungen in Großbritannien gehabt. Wer weiß, vielleicht war sie den Filmemachern auch zu alt. Aber ich war damals sehr fasziniert von diesem Film.
So war das ein sehr bildender und guter Arztbesuch.

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