Politisches

Dienstag, 30. Januar 2007

Ich war, ich bin, ich werde sein

„Rosa Luxemburg war selbst schuld an ihrer Ermordung. So sieht das jedenfalls Richard Schröder. Im Film über die 1919 getötete politische Aktivistin, den der RBB heute in seiner Reihe "Lebensläufe" zeigt, zitiert der Theologie-Professor mit SPD-Parteibuch die "Zauberlehrlings"-Zeile "Die ich rief, die Geister" und erklärt kühl den Mord durch Mitglieder des Reichskorps: "Man wird den Einsatz militärischer Mittel gegen einen Putsch nie vermeiden können." (Berliner Zeitung, 29. 01. 07).
Kühl? Nein, eiskalt und unfromm war das anzuhören. Aber es ist eigentlich nicht erstaunlich, dass sich ein „rechter“ Sozialdemokrat wie Schröder gegen eine „linke“ Frau wendet, der man anekdotisch nachsagt, sie habe sich und Klara Zetkin einmal als die einzigen Männer in der SPD bezeichnet. Da kriegt er natürlich einen heiligen Zorn, der Gottesmann.
Der Film - ein Höhepunkt dokumentierten Desinteresses an dieser Frau - wäre auch nicht erwähnenswert, wenn er nicht den trüben Zeitgeist widerspiegelte.
Neben Richard Schröder war noch Freya Klier zu vernehmen, immerhin eine von den Bürgerrechtlerinnen, die im Namen von Rosa Luxemburg gegen die Meinungskonformität der DDR zu Felde zogen. Nachdem sie die Luxemburg gönnerhaft wegen ihrer Kommunikationsstärke – ohne Handy und andere Hilfsmittel – belobigt, stellt sie ihr die großen historischen Irrtümer in Rechnung. Der Spruch von der Freiheit der Andersdenkenden gehört – bei den Wendungen der Frey Klier gemacht hat - hoffentlich nicht zu diesen Irrtümern. Man kann es ja nicht wissen.

Selten gewürdigt wird die unglaubliche Sprachkraft von Rosa Luxemburg.
Irrtümer hin oder her. Noch immer geht es mir unter die Haut, wenn ich ihre Worte – geschrieben kurz vor ihrer Ermordung - lese:„'Ordnung herrscht in Berlin!' Ihr stumpfen Schergen! Eure 'Ordnung' ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon 'rasselnd wieder in die Höh' richten' und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: Ich war ich bin ich werde sein!"

Diese Sprachmacht würdigte auch der große Karl Kraus. In einem Beitrag des österreichischen Magazins „Augustin“ wird berichtet, dass er ein Jahr nach Rosa Luxemburgs Ermordung in der „Arbeiter-Zeitung“ einen Brief entdeckte, den sie aus dem Gefängnis an Sonja Liebknecht geschrieben hat:

„Ach, Sonitschka, ich habe hier einen scharfen Schmerz erlebt, auf dem Hof, wo ich spaziere, kommen oft Wegen vom Militär, voll bepackt mit Säcken oder alten Soldatenröcken und Hemden, oft mit Blutflecken ..., die werden hier abgeladen, in die Zellen verteilt, geflickt, dann wieder aufgeladen und ans Militär abgeliefert. Neulich kam so ein Wagen, bespannt, statt mit Pferden, mit Büffeln. Ich sah die Tiere zum erstenmal in der Nähe. Sie sind kräftiger und breiter gebaut als unsere Rinder, mit flachen Köpfen und flach abgebogenen Hörnern, die Schädel also unseren Schafen ähnlicher, ganz schwarz mit großen sanften Augen. Sie stammen aus Rumänien, sind Kriegstrophäen ... die Soldaten, die den Wagen führen, erzählen, daß es sehr mühsam war, diese wilden Tiere zu fangen, und noch schwerer, sie, die an die Freiheit gewöhnt waren, zum Lastdienst zu benutzen. Sie wurden furchtbar geprügelt, bis daß für sie das Wort gilt „vae victis“ ... An hundert Stück der Tiere sollen in Breslau allein sein; dazu bekommen sie, die an die üppige rumänische Weide gewöhnt waren, elendes und karges Futter. Sie werden schonungslos ausgenutzt, um alle möglichen Lastwagen zu schleppen, und gehen dabei rasch zugrunde. – Vor einigen Tagen kam also ein Wagen mit Säcken hereingefahren, die Last war so hoch aufgetürmt, daß die Büffel nicht über die Schwelle bei der Toreinfahrt konnten. Der begleitende Soldat, ein brutaler Kerl, fing an, derart auf die Tiere mit dem dicken Ende des Peitschenstieles loszuschlagen, daß die Aufseherin ihn empört zur Rede stellte, ob er denn kein Mitleid mit den Tieren hätte! „Mit uns Menschen hat auch niemand Mitleid“, antwortete er mit bösen Lächeln und hieb noch kräftiger ein ... Die Tiere zogen schließ an und kamen über den Berg, aber eins blutete ... Sonitschka, die Büffelhaut ist sprichwörtlich an Dicke und Zähigkeit, und die war zerrissen. Die Tiere standen dann beim Abladen ganz still und erschöpft, und eins, das, welches blutete, schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften schwarzen Augen wie ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft worden ist und nicht weiß, wofür, weshalb, nicht weiß, wie es der Qual und der rohen Gewalt entgehen soll ... ich stand davor, und das Tier blickte mich an, mir rannen die Tränen herunter – es waren seine Tränen, man kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken, als ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte. Wie weit, wie unerreichbar, verloren die freien saftigen grünen Weiden Rumäniens! Wie anders schien dort die Sonne, blies der Wind, wie anders waren die schönen Laute der Vögel oder das melodische Rufen der Hirten. Und hier – diese fremde schaurige Stadt, der dumpfe Stall, das ekelerregende muffige Heu mit faulem Stroh gemischt, die fremden furchtbaren Menschen, und – die Schläge, das Blut, das aus der frischen Wunde rinnt ... Oh, mein armer Büffel, mein armer, geliebter Bruder, wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht. – Derweil tummelten sich die Gefangenen geschäftig um den Wagen, luden die schweren Säcke ab und schleppten sie ins Haus; der Soldat aber streckte beide Hände in die Hosentaschen, spazierte mit großen Schritten über den Hof, lächelte und pfiff leise einen Gassenhauer. Und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei ...
Schreiben Sie schnell, ich umarme Sie, Sonitschka.

Karl Kraus druckte ihn in der „Fackel“ ab mit dem Geleitwort: „Schmach und Schande jeder Republik, die dieses im deutschen Sprachgebrauch einzigartige Dokument von Menschlichkeit und Dichtung nicht (…) zwischen Goethe und Claudius in ihre Schulbücher aufnimmt und nicht zum Grausen vor der Menschheit dieser Zeit der ihr entwachsenden Jugend mitteilt, dass der Leib, der solch eine hohe Seele umschlossen hat, von Gewehrkolben erschlagen wurde.“

Inspiriert davon suchte ich nach einer gerechten Stimme der Gegenwart über Rosa Luxemburg und fand das Zitat von Walter Jens: "Die Humanität in unserer Gesellschaft, wird sich auch danach bemessen, inwieweit wir das Erbe Rosa Luxemburgs in Ehren halten."

Mittwoch, 27. September 2006

Idomeneo und BILD

Gefährdungsanalysen

In Berlin wurde die Wiederaufnahme der Oper "Idomeneo" durch die Indentantin verhindert, weil das LKA eine Gefährdungsanalyse erstellt hat, die Angriffe nicht ganz ausschließt.

Grund dafür ist, dass in der Schlussszene die abgeschnittenen Köpfe der Religionsstifter Poseidon (als Vertreter der antiken Götterwelt) Jesus, Buddha und Mohammed präsentiert werden. Das gab schon bei der Premiere Proteste, allerdings mehr von der christlichen Seite.

Es war sicherlich übertrieben, die Oper abzusetzen. Die Gefährungsanalyse war zu ungenau.
Aber nach der Lektüre des "Merkur"-Beitrages von Gerhard Henschel über BILD: ("Von Tag zu Tag wird's schmutziger") und den Rezensionen über sein gerade erschienenes Buch: "Gossenreport. Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung", stellt man erleichtert fest, dass es durchaus zutreffende Gefährdungsanalysen gibt. Erfreut konstatiert man: Du bist nicht allein mit dem Erstaunen darüber, dass eine Gesellschaft, die sich freiheitlich nennt, Unterdrückungen anderswo und in anderen Zeiten anprangert und eine neue Bürgerlichkeit anstrebt, sich von diesem Blatt kujonieren lässt.

Wenn es um BILD geht, hat man immer das Gefühl, die Leute rümpfen zwar die Nase, aber sie finden es uncool, sich über diese - sowohl für den gesunden Menschenverstand als auch für den Geschmack - unglaubliche Zumutung aufzuregen.

BILD erscheint mir manchmal schlimmer als die Stasi - zumindest bedienen die sich bei ihrer Jagd nach schlüpfrigen, widerlichem Unterhaltungsstoff der gleichen Methoden: Üble Nachrede, Erpressung, Rufmord. Die ekelerregende Kampagne gegen die junge Türkin Sibel Kekkili,die man nach ihrem Erfolg in "Gegen die Wand" mit ihrem Auftritt in Pornofilmen erpresste und danach versuchte, ihr ein Interview mit der Drohung, sonst ihre türkischen Eltern zu belästigen, erpressen, was dann auch geschah.
Selbstmorde sind bei diesem widerlichen Treiben hinnehmbare Kollateralschäden.
Es fehlt nur noch das Anlegen von Geruchskonserven, aber das ist offensichtlich beim Schnüffeln in fremden Betten und Unterhosen nicht nötig.

Der größte Skandal aber ist, dass sich Politiker in liebedienerischer Kriechhaltung diesem Medium nähern und glücklich sind, wenn sie dort veröffentlichen dürfen. (Gerhard Schröder sagte ja einprägsam, er regiere mit BILD, Bams und Glotze)

Ein Rezensent nennt den Umgang mit diesem Blatt eine Variante des Stockholm-Syndroms. Da es offensichtlich nicht möglich ist, sich wirksam gegen BILD zu wehren, macht man damit einen prekären Frieden, flüchtet in leichten, kurzzeitig erleichternden Spott. Skandalisierung scheint niemandem angebracht.

Also ich empfehle dringend die Lektüre des Beitrages von Gerhard Henschel und auch sein Buch werde ich mir bestellen.
Es wird wenig bewirken. Aber in Zeiten, da heiliger Zorn gegen eine Oper ernstgenommen und ihre Aufführung abgesetzt wird, sollte ein aufgeklärter Zorn gegen eine solches widerliches Produkt des Niederganges der Sitten ernstgenommen werden.
Man sollte die BILD-Zeitung absetzen. Auch wenn es eine Illusion ist, dies zu fordern.
Aber: Die Zeit ist reif für übersichtliche Utopien.

Gerhard Henschel: "Gossenreport. Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung" Edition Tiamat, Berlin 2006.

Und ein Link: http://www.taz.de/pt/2005/12/10/a0268.1/text

Donnerstag, 17. August 2006

Grass’ wahrer Sündenfall

In der „Zeit“ findet sich der wahre Sündenfall von Günter Grass: Er liegt darin, dass er nach dem Nationalsozialismus ein Linker geworden ist – die bürgerliche Gesellschaft verachtet und wieder an etwas „geglaubt“ hat.

„Man sieht den 78-Jährigen vor sich wie einen, der sofort wieder auf eine Ideologie hereinfallen könnte, wenn sie nur antibürgerlich genug daherkäme und ein Ende der Klassengesellschaft verspräche“, so lässt Jens Jessen die Katze aus dem Sack.

Und ich finde, das geschieht Grass ganz Recht. Denn mit seinem „Geständnis“ wird er vereinnahmt von der bürgerlichen Gesellschaft, von der er Abstand gehalten hat, denn er bedient ihre Aufarbeitungsrituale aufs Beste. Mit seinem späten öffentlichen „Ich auch“ sind alle zufrieden, die die Bundesrepublik Deutschland als Hort wahrer Aufarbeitung der Vergangenheit glaubhaft und authentisch bewerten, die Verschweigen und Verdrängen für legitim halten und entschuldigen und das Recht auf private Aufarbeitung reklamieren.

All jene, die schon immer gesagt haben, wir waren ja Verführte, erst später haben wir erkennen können, dass wir irrten, behalten Recht sind geborgen in der Mehrheit.
Sie waren es nach 1945 und sind es bis heute gegenüber den frühen Warnern und Mahnern, gegenüber jenen, die als Gegner des Nationalsozialismus einen Preis bezahlt haben, sei es im Exil oder im Gefängnis.

Diese bleiben die Außenseiter, bleiben die Fremden, die Störenfriede müssten sich heute eigentlich betrogen fühlen, wenn es sie noch gäbe. Die meisten sind tot.

Am Ende ist es doch nur folgerichtig gewesen, einen wie Willy Brand als Feigling und alias Frahm zu kennzeichnen, die bürgerliche Gesellschaft bleibt unter sich in ihren Aufarbeitungsritualen. Mir graut davor, muss ich sagen.

Sonntag, 13. August 2006

13. August

Eine Sendung bei dradio kultur über den Mauerbau.
Ein ehemaliger Kollege erzählt über den 13. August. Über die gesperrten Grenzanlagen in der Charlottenstrasse und der Zimmerstraße. Das habe ich später auch noch erlebt. Wie man in dieses Gebäude nur mit Grenzausweis reinkam. Direkt am Checkpoint Charly lag mein ArbeitsplatzWie diese Ausweise immer eingezogen und die Besitzer neu überprüft wurden. Wie immer mal wieder jemand versucht hat, abzuhauen und dann wurde wieder verstärkt überprüft.
Und wie wir in der Setzerei aus dem Fenster guckten auf das Springerhochhaus und aus der Montage direkt auf den Check Point Charly , wo ab und zu ein Häschen hoppelte und hin und manchmal auch mal ein Fußgänger rüberging oder ein Botschaftsfwagen rüberfuhr. Und wie wir zu Hause Westberliner Abendschau guckten, die über ein Riesenspektakel berichtete, das ein amerikanischer Künstler dort auf Stelzen vollführte und wie die Kamera schwenkte auf das Fenster der Setzerei im Osten direkt in das grinsende Gesicht von unserem Kraftfahrer. Das waren schon verrückte Zeiten und noch verrückter war, dass sich das alles so geändert hat.

Damals habe ich mir - wenn ich keinen Dienst in der Setzerei hatte - darüber nicht andauernd Gedanken gemacht.

Ich erinnere mich aber auch noch an eine Kabarettsendung mit Hannelore Kaub aus dem Anfang der 80er Jahre, die nach einem fiktiven Mauerfall und kurzer Euphorie die Westbürger jammern lässt, wie schön das gewesen war, als die Ostverwandten mit einem Paket zufrieden waren und sonst bei sich blieben. Genauso ist es gekommen. Herrlich aber auch traurig.

Sonntag, 19. März 2006

Verfassungsfragen

Immer mal wieder fällt auf, dass Leute, die die Rechtsordnung in diesem Land schützen sollen, ihre eigenen Gesetze gar nicht kennen.

Das saarländische Landesamt für Verfassungsschutz hat Oskar Lafontaine auf dem Kieker. Das lese ich bei „Spiegel online“. Und zwar, weil er in einer Partei ist, die – so der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Albert, – langfristig das bestehende kapitalistische System überwinden und eine sozialistische Gesellschaftsordnung einführen will.

„Wieso argumentiert der mit dem kapitalistischen System“, dachte ich bei mir, „das Grundgesetz regelt die Wirtschaftsform ja überhaupt nicht“. Das habe ich vor vielen Jahren mal in einer hervorragenden Fortbildung beigebogen gekriegt.

Und tatsächlich: Die Bundesrepublik Deutschland ist in der Wahl der Wirtschaftsform frei und wird nur durch die Verfassungsprinzipien des Rechts- und Sozialstaats, der Grundrechte und der Demokratie gebunden. Es sieht sogar laut Artikel 15 GG unter Umständen eine Sozialisierung der Urgüter vor. So heißt es .
Wir haben damals lange diskutiert darüber, aber es ist so. Die Behauptung, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem nur unter demokratischen Bedingungen gedeiht, ist ebenfalls umfangreich widerlegbar. Südkorea war in Zeiten, da es wirtschaftlich boomte keine Demokratie.

Und erst jetzt fiel mir auf, dass die – bei vielen nationalen Abstimmungen durchgefallene EU-Verfassung – sich auf die Marktwirtschaft festgelegt hat.Ich habe diese Debatte gar nicht genügend beachtet und sehe jetzt, dass diese Verfassung auch ein Einfallstor für diese Festschreibung wäre.

"Die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union im Sinne des Artikels I-3 umfasst nach Maßgabe der Verfassung die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist." - lese ich in einem seriösen Beitrag.

Nachtigall, ick hör Dir trapsen......

Freitag, 6. Januar 2006

Legenden und Fakten

Der Große Führer Kim Il Sung
Ich mache alles, mal wasche ich ab, mal halte ich einen Vortrag.
Weil eine Referentin ausgefallen ist, habe ich mich ganz schnell ein bisschen auf asiatische Literatur vorbereitet. Es gab zum Glück einen sehr informativen Essay über die Entwicklung der koreanischen Literatur, was ja immer bedeutet Südkorea.
Angefangen habe ich mit meiner Erfahrung aus dem Beruf. Anfang Januar kamen früher meist zwei Genossen aus der nordkoreanischen Botschaft - sehr verhuscht und zurückhaltend - und brachten uns die Ansprache des Großen Führers King Il Sung aus Anlass des Neujahrstages. Die war in lackrotes Papier gebunden und mit Goldschnitt versehen.

Was drin stand das habe ich vergessen. Aber an die Lobeshymnen in einer Zeitschrift "Korea Today" kann ich mich noch gut erinnern. Der Große Führer leistete Wundersames, er konnte die Sonne zum Stehen bringen oder zumindest einen Berg versetzen, er beschützte ganz allein ein Dorf vor den Japanern. Wir haben darüber früher viel gelacht. Jetzt frage ich mich manchmal, ob es nicht – mal abgesehen vom zweifellos exzessiven Personenkult - zur Erzählkultur des Landes gehört, solche Dinge zu schildern. Vielleicht ist es unausgesprochener Konsens, dass dies als Legende zu lesen ist, als Gleichnis für die große Macht des Großen Führers.

Anlass für meine Überlegungen ist nicht nur die Beschäftigung mit der asiatischen Kultur. Mir fällt auf, dass das Geschrei eines Folkus-Chefredakteurs: „Fakten, Fakten, Fakten“ – ja am Ende auch nicht die ganze Wahrheit ans Licht des Tages bringt, sie verschleiert, wenn man es will.
Oder, dass die angeblich so objektiv arbeitende Meinungsforschung so lange die Fragen formuliert, bis rauskommt, was rauskommen soll. Die letzten Wahlen waren ja dafür ein eklatantes Beispiel. Eine Weile herrschte betretenes Schweigen an der Umfragenfront. Jetzt aber machen sie weiter, als seien sie nicht unredlich parteilich gewesen und hätten den Trend falsch vorausgesehen.
Legenden entstehen auch in einem Land der Ratio. Massenweise.

Samstag, 17. Dezember 2005

Gasprom

Es seien ja viele Stasi-Offiziere in die Wirtschaft gegangen, denn sie besäßen in ausreichendem Masse, was man in diesen Funktionen besonders braucht: Flexibilität und Effektivität in der Arbeit und sie verfügten auch über Ellbogen. Es hätte ja schließlich nach der Wende geheißen: Stasi in die Produktion. Und so sei es denn auch gekommen. Na, ich weiß nicht, etwas verbittert und zynisch - diese Stellungnahme von Joachim Gauck in einer zum Vorstandschef des Gasprom-Konsortiums Günther Warnig, den sie als ehemaligen Stasimitarbeiter geoutet haben.
Was soll man daraus nun schließen. Die Stasi ist am kapitalismustauglichsten? Dann hätten wir ja gleich unter Führung der Genossen von der Stasi den Weg in den Westen antreten können. Wozu dann eine Wende, die ohnehin als Revolution überwertet wurde. Mir gefällt der ganze Gaucksche Gedankengang nicht. Ein kühner Denker war er ohnehin noch nie. Und nun, da er auch viel ungehemmter reden kann, häufen sich manchmal die unfreiwilligen Offenbarungen, aber auch Fehlschlüsse. Sind jetzt die, die sich nicht bei den Genossen von der Stasi das notwendige Wendewissen aneignen durften, die Verlierer der deutschen Einheit oder wie oder was.? könnte man fragen.
Ein Korn Wahrheit liegt allerdings schon in dem, was Gauck so vergröbert feststellt: Viele ehemalige Genossen - im Moment erlebe ich eher Genossinnen - sind einerseits schon wieder an die Verhältnisse angepasst bis zur Selbstaufgabe im Einklang mit den Bestimmungen. Wenn sie aber andererseits etwas zu sagen haben handeln sie unverdrossen machtbewusst und hemdsärmliger als die ehemalig Unauffälligen, Stillen oder gar die ehemaligen Gegner in der DDR. Sicherlich etwas sehr pauschal, aber vielleicht nicht ganz falsch.

Montag, 5. September 2005

Angela Merkel

Als ich vor vielen Jahren als kurzfristige Ausleihkraft zum Büro des Regierungssprechers kam, saß da auch eine junge Frau rum, die ziemlich blässlich war und einen Parka oder etwas ähnliches trug und im Fernsehen eine Debatte verfolgte.
Ich musste mich erst reinfinden und beschäftigte mich mit anderen Sachen etwas abseits. Sie aber sagte freundlich: „Na, setz Dich doch mit her“. Es gehörte u.a. zu meinen Aufgaben, Interview-Wünsche für den Ministerpräsidenten entgegenzunehmen, ein bisschen zu sortieren und dann Termine abzuklären, wenn er einverstanden war. Ich war heilfroh, dass mir die junge unauffällige Person immer gleich diese Gänge abnahm, den Ministerpräsidenten fragte und mir Bescheid gab, denn ich konnte dann effektiver arbeiten.

Die junge Frau war unglaublich fleißig und nach und nach hängte sie den Regierungssprecher ab, weil der außer einem gewinnenden Wesen wenig an Kompetenz besaß. Bald merkte ich aber auch, dass sie konkurrenzbewusst war und sich mit ihr immer dann Konflikte anbahnten, wenn sie Angst hatte wegen ihres Mangels an Erfahrung überfahren zu werden. Ich war schon länger in dem Beruf und darum fragte ich sie hin und wieder, was sie in dieser oder jener Sache tun wolle oder sagte, was ich tun würde. „Das müssen Sie mir nicht sagen“, antwortete sie meist etwas abweisend. Darum nahm ich mich zurück, es gab genug zu tun. Ihre Sekretärin meinte respektvoll, bei ihr sei zwar viel Kram auf dem Schreibtisch, aber sie verwalte ihr kleines Chaos trotzdem effektiv. Und man konnte sich auf sie verlassen. Mir unterlief in dieser Zeit ein äußerst peinlicher Fehler: Ich sah den damaligen Leiter der Treuhand, Reiner Maria Gohlke, auf dem Gang vor dem Zimmer von de Maiziere sitzen und erfuhr nebenher, dass er um seine Abberufung bitten wollte. In meinem Tran sagte ich das einem Journalisten am Telefon und in den nächsten Stunden war der Teufel los. Ausbügeln musste auch sie das, aber sie nahm es mir nicht krumm. Überhaupt war sie immer von höchst gleichmäßiger Temperiertheit. Ich fand sie – obwohl ich ganz anders gestrickt bin – nicht übel.

Am Nachmittag unserer Zusammenarbeit – die DDR gab es am nächsten Tag nicht mehr – saßen wir noch zusammen, rauchten eine Zigarette und sie gab eine Flasche Sekt aus. Sie blieb immer reserviert, immer abwartend. Wir sprachen darüber, was sie für die Zukunft plante. Sie überlegte laut, ob sie nicht doch wieder in die Physik zurücksollte, aber – Günter Krause, dessen Ziehkind sie damals war – riet ihr zu einem Bundestagsmandat. Und so ist es ja auch gekommen. Ich ging zu meiner Arbeit zurück. In deren Ausübung traf ich sie, als sie Frauenministerin war. Sehr unbehaglich fühlte sie sich in diesem Job, das konnte man ihr ansehen. Wir begrüßten uns freundlich, aber sie war schon auf einem anderen Stern. Wenn ich später erlebte, wie man sie auf Haarfrisur und Mimik versuchte zu reduzieren, fand ich zum ersten Mal, dass in diesem Land die Gehässigkeit ein permanentes Stilmittel ist. Was sie aber selbst wirklich politisch will - die Angela Merkel - und ob sie überhaupt politische Leidenschaften besitzt, das hat sich mir nicht erschlossen.

Als ich gestern die Debatte zwischen Merkel und Schröder verfolgte, dachte ich an diese Zeit zurück. So sehr hat sie sich auch wieder nicht geändert. Ihr liegt das politische Tagesgeschäft, aber sehr visionär kommt sie mir auch jetzt nicht vor. Vielleicht aber hat es auch mit den schwindenden Möglichkeiten der Politik überhaupt zu tun.
„In der Berufsforschung gibt es ein Theorem, das besagt, dass ein Beruf um so mehr an Reputation verliert .........je mehr Frauen darin beschäftigt sind“, schrieb kürzlich eine Journalistin.
Nimmt man diesen Gedanken für einen kurzen Augenblick ernst, dann müssten wir uns um das Ansehen des Kanzleramtes Sorgen machen: Denn die Nominierung von Angela Merkel als Kanzlerkandidatin könnte ein Indiz dafür sein, dass das politische Personal an der Spitze gleichgültig zu werden beginnt.“ Das wünsche ich ihr nun auch wieder nicht, der Angela Merkel.

Dienstag, 9. November 2004

9. November

Am neunten November 1989 abends sind wir ins Bett gegangen wie immer, weil wir uns – trotz der merkwürdigen Ankündigung von Schabowski – überhaupt nicht vorstellen konnten, dass das als sofortige Grenzöffnung zu verstehen ist. Wir dachten, dass man unbürokratisch einen Antrag abgeben und dann reisen kann. Deshalb sind wir zwar ziemlich aufgeregt, aber nicht völlig „außer uns“ ins Bett gegangen. Direkt am Checkpoint Charly lag mein Arbeitsplatz
Es hatte schon einige merkwürdige Entwürfe über ein neues Reisegesetz gegeben, alle viel zu restriktiv für die dramatische Entwicklung, deshalb erwarteten wir ständig Nachbesserungen. Erst am Morgen hörten wir, was in der Nacht passiert war.
Ich hatte am nächsten Tag Spätdienst und ging vor der Arbeit zur Bornholmer Brücke.
Dort war eine Riesenschlange, die Grenzer standen irgendwie ratlos rum und als ich einen ansprach, um nach der Situation zu fragen, zuckte er mit der Schulter. Halb missmutig und halb ratlos.
Dann bin ich zum Spätdienst gegangen, der – angesichts der Ereignisse - unglaublich stressig war. Gegen 23 Uhr bin ich mit dem Kraftfahrer noch zur Bernauer Strasse gefahren, wo sie schon ganze Mauersegmente rausbrachen, damit die Leute durchkommen. Und am nächsten Tage ging ich da hin, traf ein amerikanisches Fernsehteam und habe mit denen ein paar Tage ziemlich geschuftet und mein erstes Westgeld verdient. Das Brandenburger Tor ging viel später erst auf. Bis dahin und auch danach hatte ich die verrückteste und arbeitsintensivste Zeit in meinem Leben. Als am 1. Juli 1990 die Währungsunion kam, lag ich im Krankenhaus.

Freitag, 15. Oktober 2004

Der Zeitgeist wechselt

»Es entsteht eine neue Unternehmenskultur, die den sozialen Ausgleich deutlich geringer bewertet als bisher«, so stand es kürzlich in einer Zeitung zickereien und wenn man so was liest, dann schreckt man kaum noch auf. Einige Tage später stellte die „taz“ gleiches in etwas holpriger Diktion fest: »Die die Nachfrage stabilisierende Funktion der sozialen Sicherungssysteme hat sich für multinational operierende Großunternehmen relativiert«.
So sieht’s aus und so erleben es gegenwärtig die Opel –Arbeiter. Die agieren noch nach dem Motto »Das können die mit uns doch nicht machen«. Die Überzeugung vom eigenen Wert wird trotzig demonstriert. Eine Überzeugung, die man Arbeitern anderer Landstriche nicht mehr zubilligte, von denen man glaube, dass die im wesentlichen wohl selbst schuld gewesen seien an der Misere.
Es ist vorbei mit den Aushandeleien. Wenn überhaupt noch Kompromisse, dann nur noch fürs Image. Im Wesentlichen werden die Arbeiter und Angestellten wohl sehen müssen wo sie bleiben. Der Staat übernimmt einige Reparaturarbeiten, federt – wenn das noch geht, den Strukturwandel weiter ab oder so.

So sind nun mal die Zeiten. Und gerade darum entsetzt mich die vorauseilende Anpassung von Leuten an das, was man den Zeitgeist nennt.
Es ist wie ein Knacken in einer Weiche und dann wird klar. Ja, was eigentlich? Der Zeitgeist wechselt das Gleis.
Noch sind die Leute irritiert, weil sie noch immer auf dem falschen Perron stehen – da wo es noch den Glauben an eine Unternehmenskultur gibt, an sozialen Ausgleich. Bald aber gehen die ersten - jene, die immer wachsam sind, damit sie den neuen Trend nicht verpassen - auf das neue Gleis und höhnen von dort in Richtung der weniger Entschlussfreudigen. Sie führen die neuen Reizvokabeln im Mund, als wäre es gar nichts »Schon Hartz IV-Anträge ausgefüllt?« fragen sie ihre Widersacher jetzt höhnisch, wo vorher eine andere Gemeinheit gebraucht wurde oder sie raten ihren Kontrahenten, sich eine Nummer zu nehmen und zu warten. Ganz im neuen Trend, mit im Spiel mit den neuen Ängsten, für deren Bewältigung neue Scherze her müssen.
Und wenn einem das auffällt, wenn man sich hin und wieder darüber ärgert, weil man dieses beflissene Anpassen an den Zeitgeist nicht mag und schrecklich findet, weil man nicht so sein will, weil man sich nicht mehr einfach automatisch regulierend anpassen will, dann ist man ein Spielverderber. Aber das macht nichts, weil man – bei diesen rasanten Wechseln des Zeitgeistes – ganz schnell auch wieder ein Deckenfluter werden kann, ein Himmelsstürmer oder auch ein Bruchpilot. Wer weiss das schon.

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