Politisches

Donnerstag, 23. September 2004

In der Diktatur gabs keine Filzstifte

In der "Berliner Zeitung" zickereienwurden die Gründe für die verbreitete Ostalgie am Beispiel Potsdams untersucht. Dort gibt es einen reicher Norden mit sanierten Altbauten und den Residenzen zugezogener Westdeutscher, wie Günter Jauch. Im Süden hingegen wohnen die Verlierer der Wende in Plattenbauten.
Eine Lehrerin kommt in dem Beitrag zu Wort, die der Verherrlichung der PDS und der Vergangenheit doch etwas entgegensetzen will. Das will sie tun, indem sie ihren Grundschülern erläutert, dass es damals keine tollen Filzstifte, keine schicken Süßigkeiten und keine tausend Joghurtvarianten gab. Das wird den Kleinen das Ausmaß der Unterdrückung in der Vergangenheit recht eindrücklich vor Augen führen.
Ein herrlicher Beitrag. Gibt es nicht - auch für kleinere Schüler - ein paar tragfähigere Argumente oder hat sie auf kindgerechte Weise die wirklichen Gründe für die demokratische Gesinnung in Ost und West beim Namen genannt? Demokratie ist, wenn es uns gut geht. Und wenn es nicht mehr so gut geht, was dann?

Nachdem noch vor zwei Tagen der große Ostjammer im „Spiegel“ bewegenden Ausdruck fand, sind die Berichte über den Aufbau Ost gar nicht so schlecht. Die Prognosen zwar nicht rosig, aber auch nicht so hoffnungslos, wie es dargestellt wurde. Immer mehr Beiträge erscheinen mir nach dem "Helmut Kohl - Prinzip" verfasst: Entscheidend ist was hinten 'rauskommt. Im Spiegel-Beitrag spürt man diese "Vorgabe" deutlich.

Angesichts eines erneuten Terroranschlages – ausgeführt von einer Frau – frage ich mich, was man eigentlich den Frauen für das Paradies verspricht. Dutzende von Jungfrauen, wie angeblich bei den jungen Männern können es ja nicht sein. Dutzende junge Männer aber auch nicht. Vielleicht verspricht man ihnen, dass man ihrer Familie hilft. Das wird wohl beide Geschlechter am meisten bewegen angesichts der elenden Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten. Und: der Hass, der aus Erniedrigung und Demütigung kommt, ist eine starke Triebkraft.

Dienstag, 21. September 2004

Wer steckt dahinter?

Ohne, dass ich politischen Entwicklungen verharmlosen oder Wahlergebnisse ignorieren wollte: Aber, können die Neonazis eine zickereientatsächliche Gefahr sein für die Demokratie oder sind sie nur Ausdruck einer allgemeinen kulturellen Verwahrlosung?Peinlich ist das alles und unzivilisiert, aber gibt es auch eine Chance, dass die wirklich politische Macht bekommen?
Diese Stimmengewinne für die Rechten bringen mich mehr zu der Frage, wer hinter denen steckt, wer die finanziert. Denn, das haben wir schließlich mal gelernt und wir erleben es – angesichts der Parteispendenpraxis - ja auch dauernd: Ohne mächtige Interessengruppen hinter solchen Parteien, läuft gar nichts.

Also: wer steckt dahinter? Bei der DVU gibt es ja eine benennbare Person, aber ist der ganz allein? Bei der NPD sieht man dieses Geflecht nicht? Wenn man recherchiert, kommt immer wieder ans Licht, dass der Verfassungsschutz sehr viele Aktionen mit geplant hat. Hat die etablierte Demokratie Interesse daran, eine nationalsozialistische Gefahr aufzubauen oder ist sie im Übereifer der Enttarnung selbst völlig verstrickt in diese Neonazi-Szene?

Ob es in der globalisierten Welt überhaupt möglich ist, einen Systemwechsel in Richtung nationalsozialistische Diktatur oder irgend so einen anderen totalitären Antimodernismus gleich ob von rechts oder von links zu erzwingen, scheint mir sehr fragwürdig. Ich sehe Gefahren für die Demokratie ganz woanders: Berlusconi in Italien, ja sogar das einstige Kirch-Imperium in Deutschland haben mich mehr beunruhigt. Diese sogenannte Mediendemokratie, diese Trivialisierung der öffentlichen Meinungsbildung, immer mehr Anschläge auf die Intimität der Menschen und dies mit breitem Einverständnis. Die feste Überzeugung, man müsse den Leuten nur die Freiheit der Auswahl nahe bringen, als ginge das in dieser total manipulierten Welt - so was macht mir Angst. Die Gentechniken mit den Tendenzen zu Auslese und Auswahl.

Die Suggestion einer totalen und beliebigen Freiheit kommt mir totalitärer vor, als manche Appelle für mehr Staat und mehr Gesetze. Und international wieder zwei Großmächte, die sich nur auf Gewalt verlassen, das ist etwas, das mich erschreckt. Und das völlig widerstandslose Einverständnis vieler Menschen mit solchen Verhältnissen.

Wenn ich Kabarettist wäre, würde ich warnen: In einer Demokratie findet Repression nur mit dem Einverständnis der Mehrheit statt – das unterscheidet sie von der Diktatur. Und heute ist die Mehrheit ziemlich willig bei der Zustimmung zu Einschränkungen aller Art.

Sonntag, 19. September 2004

Hitler als Opfer

"Der Film von Bernd Eichinger und Oliver Hirschbiegel "Der Untergang" zickereien hat jetzt das Opfer Hitler entdeckt." Diesen mir völlig unverständlichen Satz fand ich in der "Berliner Zeitung". Wenn Hitler als Mensch gezeigt, wird, wenn er als psychisch und physisch Zerstörter dargestellt wird und auch, wenn er bemitleidenswert erscheint: Er ist kein Opfer. Wessen Opfer soll er sein? Seines eigenen Größenwahns? Seiner eigenen psychischen Verfasstheit? Am Ende ist er noch sein eigenes Opfer. Das reicht wohl kaum für den Opferstatus. Das ist absolut unlogisch. Hitler ist kein Opfer, weil niemand ihn zum Opfer machen konnte.
Am Ende kommt es noch darauf hinaus, dass ihn die Prügel seines Vaters zum Diktator gemacht haben.
Ebenfalls aus der Alltagsküchen-Psychologie:
"Nach langen Debatten kam man dahinter, dass man nicht prinzipiell Täter oder Opfer ist, sondern dass man in der einen Situation Täter und in der nächsten Opfer und danach wieder Täter sein kann"
So was kann man sicherlich für die Arbeit mit Gewalttätern im zivilen Leben verwenden, für den Umgang mit politischen Verbrechen scheint mir eine solche Herangehensweise eindimensional, unhistorisch und sträflich vereinfachend.

Freitag, 17. September 2004

Lokalpatriotismus

"Ja, ja" sagt meine Freundin Elsa immer, "Lokalpatriotismus ist ungefährlich. Man sitzt in der Kneipe, wartet aufs Bier und es wird einem heimelig zumute. So wie jetzt uns dreien“.
"Aber dann will man die Kneipe auch verteidigen", meinte Emma.
"Wogegen denn? ", fragten wir beiden anderen.
"Gegen zu viele blöde Gäste, die laut rumbrüllen, gegen Erhöhung der Bierpreise, die der Wirt schon wieder plant, und gegen eine Beschallung, die von Woche zu Woche lauter wird".
"Wir könnten doch woanders hingehen", schlug Else vor, aber damit kam sie nicht durch bei uns. „Hier sind wir und hier bleiben wir. Wir verteidigen das Kneipenterritorium.“
“Ach ja, Territorium, habt Ihr das auch gehört mit den Straßenkämpfen? ", wollte ich wissen.
"In Neukölln zum Beispiel, die Richardstraßengang gegen die Hermannstraßengang. Oder die Türkengang gegen die Arabergang".
"Hör bloss auf, Madge, man wird ja ganz ängstlich", erregten sich Emma und Else unisono. "Aber neu ist das nicht, das ist doch immer mal wieder Topthema".
"Mann, gibt es denn keine echt deutschen Jugendbanden mehr? Müssen alles die Ausländer machen? Auch bei Mord, Totschlag und Einbruch - nur noch Ausländer? Ein grundehrlicher Deutscher kommt gar nicht mehr zu einem ordentlichen Kapitalverbrechen. "Deutsche Männer bildet Banden", schwadronierte Emma nun wieder vor sich hin .
"Doch doch, Banden gibt’s, auch bei Deutschen, und das sind leider nicht nur die einschlägig berüchtigten Vereine", meinte Elsa, "Aber ich meinerseits kenne nur die Aufforderung "Frauen bildet Banden", das ist allerdings nicht als patriotische Losung zur Reinhaltung der deutschen Kriminalstatistik gemeint.
"Na, ja Ihr Guten" warf Emma in die Debatte, "wir sind ja auch schon ganz entwurzelt und vereinzelt.“
"Häää? " machte ich erstaunt, aber Emma spann das weiter aus: "Ja, wir sitzen hier, die Männer sind zu Hause, die Kinder nestflüchtig oder gar nicht vorhanden. Und die anderen Mitglieder der Familie? Weit weg, bloss nicht dran denken. Kein Familienleben weit und breit. Wenn ich da an andere Länder denke. Da zählt ja fast nur die eigene Familie‚der Clan’ mit allen angrenzenden Zweigen und die anderen sind da schon Fremde und Feinde. Und wenn die sich bekriegen - zum Beispiel um die Frauenehre, das ist ein beliebter Grund, sich zu kloppen - da fliegen auch die Fetzen. Da gibt’s Mord und Totschlag sage ich Euch". Da sind wir hier in Deutschland anders. "Stimmt schon", kam mir in den Sinn, "bei uns da zanken sie sich vorrangig innerhalb der eigenen Familie. Das ist doch auch schon ein Fortschritt". "Mag sein“ sinnierte Else "aber wenn einer schlichten will, dann sind sie sich alle wieder einig und der kriegt die Hucke voll."
Gibt es denn überhaupt kein Zusammengehörigkeitsgefühl mehr in Deutschland? fragte Emma sich und uns. "Ach ja, doch", sie verdrehte die Augen, "klar, beim Fussball und solchen kindischen Sachen".
"Aufgeklärte politisch denkende Menschen mit Vernunft, die brauchen keine Abgrenzung von anderen, keinen Lokalpatriotismus und keinen Gruppenpatriotismus ".
"Meinst Du wirklich? ", unterbrach ich sie. „und was ist mit "Zonengabi"? Das war doch ein linkes Blatt "Titanic", die das aufgebracht haben. Da war doch auch so was wie Abgrenzung.
“Na gut, ein bisschen Satire, Mensch Madge, das ist doch o.k. Die haben sich über diese bananenfressenden Ossis in den Grenzgebieten eben rasend geärgert., beschwichtigten Emma und Else.
"Kann ja sein", aber die "taz" fiel über ostdeutsche Männer her gleich nach der Wende, das war auch nicht ohne: "Schnauzer, Wampe, Klemmgefühl" hieß der Beitrag. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie mein Mann sich aufgeregt hat, dabei hat der überhaupt keinen Schnauzer, ist schlank und fühlt sich nicht verklemmt. Ich sagte ihm hundertmal, ‚Du bist gar nicht gemeint’, aber da sagte er, „das geht gegen alle ostdeutschen Männer und da ärgere mich nun mal und Schluss“.
„Ist das nicht auch diskriminierend“, fragte ich nun Else und Emma „Wenn jemand behauptet, die meisten Ostdeutschen seien autoritäre Persönlichkeiten. Das wirft doch auch alle in einen Topf, genau wie die Rede von den Schwarzen, die alle gut tanzen können und große Sch..... „Jetzt hör aber auf“, prustete Emma, „ die primären Geschlechtsmerkmale bei Männern sind eine heikles Thema und wurden bei Kriegen früher sogar oft präsentiert, die sind was ganz Wichtiges und damit.....“
“ Genau,“, stand Else ihr bei „damit kommen wir weit ab von den Ostmännern, in jeder Beziehung. Obwohl, verallgemeinert wird schon, aber ob das mit Fremdenfeindlichkeit zu tun hat?, ich weiss nicht. Kann ja sein. Leuten, die so was sagen, sind die Ossis fremd und da... "Eher Furcht, Ossifurcht“, platzte Emma lachend rein. "Vor uns Ossis können sie sich ruhig ein bisschen fürchten. "Stimmt, vor allem vor den Ostfrauen, die sind so was von respektlos".
"Was bleibt uns denn auch übrig, uns Frauen". brach es nun wieder aus mir heraus, „Wir müssen ein bisschen rustikal sein. Immer müssen wir wieder Ordnung schaffen und aufräumen nach allem Durcheinander - da hilft die ganze "Gleichberechtigung" nischt. Die meisten Männer sind eben bequeme, faule Säcke, zu nichts zu gebrauchen, das vernünftig ist“
Da fiel mir Else ins Wort: "Apropos Aufräumen - seit am ersten Mai die EU erweitert wurde, gibt’s hier in Berlin noch mehr polnische Putzfrauen. Die werden uns hier noch ganz gehörig die Preise versaun*. Heh, Erwin, bring' uns noch ein Bier, hast Du auch schon eine polnische Putzfrau oder wird bei Dir noch deutsch gewischt? "

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