Mittwoch, 20. Januar 2010

Lamento über das Schreiben

Sowohl meine frühere Arbeitsstelle als auch unsere Wohnung lagen so zentral, dass der Weg kurz war und ich auf vielen Wegen von Haus zu Haus gelangen konnte. Unterwegs - wenn ich an der Osloer Straße von der Straßenbahn in die U-Bahn wechselte, an der Schönhauser Allee auf die Straßenbahn wartete oder durch die Unterführungen am Alexanderplatz eilte, fiel mir Ingeborg Bachmanns Erzählung "Drei Wege zum See" ein.

Mit ihr trat für mich eine Erzählweise ins Leben, die wie ein Echo auf die Fragen anmutete, die auftauchten, wenn in mir der Wunsch, selbst zu schreiben zu einer Art von leidenschaftlicher Sehnsucht anwuchs. Ihre Erscheinung war in meinen Augen die personifizierte Warnung vor solchen riskanten Abenteuern. In allen Aufnahmen, die ihre öffentlichen Auftritte dokumentieren, sieht sie stets so aus, als ginge sie in den nächsten fünf Minuten zugrunde am Elend der Welt und der eigenen Schutzlosigkeit.

Die Filmaufnahme von Ingeborg Bachmanns Lesung des Gedichts: "Erklär mir, Liebe" mit gebrochener Stimme und der durch die Möglichkeit des Scheiterns erzeugten Spannung scheint mir wie eine Mahnung. Oft wurde ihr vorgeworfen, sie inszeniere das nur. Das trifft aber nicht die Wahrheit. Seit ich sie so lesen sah, weiß ich, dass dies untrennbarer Bestandteil ihrer Arbeiten ist.

Schreiben ist keine Kleinigkeit, die mit ein wenig Talent, ein wenig gutem Willen, ein wenig Fleiß und einem etwas größerem Ego zu bewältigen wäre, so scheint es mir. Es ist eine Selbstauslieferung. Und andauernd habe ich die Sorge, mein Inneres läge bloß, ich müsste jeden Tag neue Schutzwälle aufbauen, entschlösse ich mich, wirklich zu schreiben. Ist Leiden der Preis dafür dass Schreibende das Leben mit der Kunst betrügen? Ich weiß nur, dass es mehr Menschen gibt, die vorgeben an der Kunst zu leiden, als solche, die wirklich Kunst zustande bringen. Und meine Furcht vor Schreiben, die Furcht vor dem Erfinden und Finden von Abgründen, die ich vielleicht gar nicht finden will, begleitet mich schon mein ganzes Leben.

Etwas aus meinem Leben aufzuschreiben, damit es nicht der Vergessenheit anheim fällt, das kann ich ganz ordentlich. Tatsachen kolportieren, Bericht erstatten, das habe ich gelernt. Aber ich habe nie gewagt, allzu weit von dem abzuweichen, was das wirkliche Leben vorgibt.

Die Illusion der Realität, der „ganzen Wahrheit“ ist eine verlässliche Stütze und verdeckt, was ich eigentlich sagen will. Was ich eigentlich sagen will aber verschwindet jedes Mal, wenn ich am Anfang einer Seite sitze. So kann ich nicht von dem Gedanken lassen, dass wirkliches Schreiben etwas von einer Opferhandlung hat und mit der Bereitschaft , sich auszusetzen. Man muss bezahlen, wenn man etwas schaffen will. Ich werfe mir vor, dass ich dieses Opfer nicht bringen will.

Vielleicht ist alles auch ganz anders - vielleicht bringen andere, die schreiben wollen, dieses Opfer voll Eifer und Freude, weil es für sie nur eines von vielen Hindernissen ist, das sie auf dem Weg zum eigenen unbeirrbar verfolgten Ziel überwinden müssen. Vielleicht machen sie daraus auch einen Bestandteil ihrer Kreativität wie die mir so eingeprägte Bachmann. Ich weiß es nicht, aber ich denke schriftlich lieber darüber nach, als vor einem leeren Bogen zu sitzen. Täte ich das nicht, müsste ich ja anfangen wirklich zu schreiben.

Montag, 18. Januar 2010

Wahnsinn

Vor vielen Jahren - es war wohl nach der Jubeldemonstration zum Geburtstag unserer sozialistischen Republik - verließ ich nach absolvierter Teilnahme an der Station "Schönhauser Allee" die S-Bahn und stieg zur Eingangshalle hinauf. Dort stand ein älterer Mann, ein bisschen verkommen, ein bisschen versoffen. Der rief den Leuten, die an ihm vorbei hasteten entgegen: "Ihr werdet so verarscht, ihr alle, warum lasst Ihr Euch das gefallen, das ist doch alles Scheiße hier". Und die Leute gingen vorbei, peinlich berührt. Auch ich passierte ihn wortlos.

Vor mir sagte ein Mann zu seiner Begleiterin: "Ach, ein Verrückter" hoffentlich kassieren sie den nicht ein. Der kriegt bloß Ärger.“
Und ich dachte: " Ich dachte: Er ist unglücklich, er ist krank, er hat in allem Recht. Es ist ein Wahnsinn.

Die DDR ging vorbei - ein Wahnsinn – und es wurde viel geschrieen.

Ich sehe sie öfter, wenn ich in die "Schönhauser Arcaden" einkaufen gehe. Sie sieht aus wie ein Model, sehr schlank mit einem ungeschminkten blassen Gesicht, das einen Visagisten aber sicher inspirierten könnte.
Ich denke, sie ist so Anfang der Dreißig, die aschblonden Haare hat sie meist hochgesteckt. Sie ist unauffällig aber originell gekleidet, eine Leinenhose mit einem TShirt. Manchmal hat sie ein Mützchen auf und einen Leinenbeutel über der Schulter.
Kürzlich betrat sie mit Riesenschritten die "Arcaden" und schrie den Leuten ihre Empörung uns Gesicht - eine Empörung, die man immer nur teilweise erahnen kann.
Auschwitz kommt vor, Palästina, Kaffeepreise. Immer wenn sie ihre Empörung ausspeit, sucht sie mit Blicken nach Leuten, die ihren Blick erwidern. Meist an der kleinen Kaffeebar, wo die Gäste an den Tischen sitzen bleibt sie stehen und schreit in die erstaunt aufblickenden Gesichter hinein.

Irgendwann geht sie weiter meist in den Supermarkt und dort hört man noch ihre Beschimpfungen. Auch wenn nicht Wort für Wort zu verstehen ist, sind es geschrienen Anklagen gegen die Welt, wie sie ist und vor allem gegen die Gleichgültigkeit der Menschen, die sie abwehrend oder belustigt anblicken.
Einige Tage zuvor war sie mir auf der Straße entgegengekommen auch schreiend, da kam merkwürdigerweise das Wort "Lafayette" vor und sie suchte wie immer den Blick der ihr Entgegenkommenden. Mich sah sie auch an, aber ich blickte nicht weg, sondern interessiert in ihr Gesicht. Das wollte sie nicht, das war keine Chance für eine direkte Konfrontation. Also ging sie weiter.
Ich dachte: Sie ist unglücklich, sie ist krank, sie hat in allem Recht. Es ist ein Wahnsinn.

SPENDENGALA

Mir sind Spendengalas, überhaupt die Zurschaustellung unendlicher Wohltätigkeit , schon immer mehr als verdächtig .Manchmal sind sie sicherlich ganz nützlich. Die Aidsstiftung, die Obdachlosenhilfe, Kinderdörfer, Selbsthilfeinitiativen - sie alle profitieren von Spendengalas und da kommt mir der Rahmen auch halbwegs akzeptabel vor.

Aber jetzt stockt bei mir die innere Bereitschaft zur Toleranz gegenüber diesem Gala-Treiben: Dieses Erdbeben in Haiti ist so apokalyptisch, dass ich eine Spendengala – noch dazu von diesem unsäglichen Thomas Gottschalk moderiert – nur als Obszönität verstehen kann.
Mir kommt die Spendengala vor wie eine andere Seite der Apokalypse.

Ich sehe die Promis lächelnd über den Teppich rauschen – der zu ihren Füßen noch nicht bebt - wie schön. Ich sehe sie den Darbietungen lauschen und höre, wie der Saal vom Beifall bebt. Ich sehe sie bebend vor Geilheit, von der Kamera erwischt zu werden.
Und denke mir: Alles, was da zusammenkommt, käme auch zusammen, wenn irgendwo anders kein Krieg wäre, der zu finanzieren ist.

Es ist mir übel bis unbehaglich, dieses mitmenschliche Getue nach dem Motto: Mag anderswo die Erde beben, wir lassen unsere Promis leben.

Abschließende Predigt: Seid dankbar, Ihr Eitlen, dass sich die Erde nicht wirklich mal auftut – eines Tages - unter der Wucht der Ungerechtigkeit, der einseitigen Belastungen und ungleichen Chancen. Sie könnte kippen die Welt und Abgründe könnten sich auftun. Und dann hilft keine Gala mehr, sondern nur noch die Galeere für die Ungerechten.
Amen, Halleluja.

THERAPEUTISCHE BÜCHER

(Wish I could find a good book to live in)

Im Dezember1988 notiert der Schriftsteller und Dichter Peter Rühmkorf (1929-2008)
in sein Tagebuch TABU I: „Das Gefühl, dass etwas zu Ende geht, Zur Hälfte bereits abgestorbenes Zeug, das man mit sich herumschleppt. Erledigte Stoffe. Hadesgepäck. Und kein tröstliches Buch, in dem man rückstandlos verschwinden kann.“.

Wer kennt solche Gefühle nicht, wer hebt nicht manchmal irritiert die Augen von einem Buch, weil es ihn soeben entlassen hat aus seiner Welt in die eigene wie sie ist.

Oder, wer bekommt nicht Sehnsucht nach diesem Buch - und möchte wieder hineinflüchten, weil es so gut getan hat, drin zu verschwinden und zu lesen. Es hat weniger mit dem Bedürfnis nach Weltflucht, sondern – bei mir ist es so – mit dem Trost zu tun, den man daraus schöpft, dass es den Romanhelden ähnlich geht, wie einem selbst. Viele Leser wollen von Büchern nichts als entführt werden, ich nicht. Ich will erinnert werden, wie das wirkliche Leben ist und manchmal daran, dass es nicht so schlimm ist, nicht die Katastrophe, die ich befürchte.
Bücher mit einer therapeutische Wirkung nenne ich solche Lektüre. Manchmal nur für eine bestimmte Zeit, manchmal auch für immer.

Solche Sachen werde ich in einer kleinen Reihe vorstellen.

TAGEBUCH DER ARMUT

Warum lese ich immer wieder ein Buch, in dem eine Frau aus den Favelas von Sao Paulo schildert, wie sie täglich gegen den Hunger kämpft, durch die Straßen von Sao Paulo mit ihrem Müllsack eilt und Abfall sammelt?
Das Buch, in dem davon die Rede ist, heißt „Tagebuch der Armut“ und stammt von der schwarzen Brasilianerin Carolina Maria de Jesus.
Erschienen ist es schon zu DDR-Zeiten in der Reihe Documente des Reclam Verlags. Es ist ein authentischer Bericht, denn es hat sie gegeben, diese Carolina Maria de Jesus. Sie lebte mit ihren zwei Kindern, Vera und Joao, in einer neun Quadratmeter großen Bretterbude.

Ende der fünfziger Jahre begann sie jenes Tagebuch, in dem sie berichtet, wie sie leere Flaschen sammelt und verkauft, wie viel sie dabei verdienen konnte für den Tag und wie sie versucht, ein bisschen Fleisch am Kühlhaus zu ergattern, bevor es mit Lauge übergossen wird, wie sie zur Wasserstelle geht und sich mit den Frauen unterhält und streitet, wie sie ihre Kinder vor den Schlägen ungeduldiger Nachbarn schützt, wie sie ihrer Tochter neue Schuhe schenken kann, weil sie auf einen mildtätigen und an ihr sexuell interessierten Menschen trifft und wie sie jeden Abend hofft, der nächste Tag würde besser. Und wie sie erlebt, dass der Hunger alles in gelbe Farbe taucht. Der Hunger, der überall ist und der sie jeden Tag aus den Gesichtern ihrer Kinder anblickt.

Nein, ich lese das nicht, weil ich mich dann befriedigt zurücklehnen und mir sagen kann, wir sollten doch zufrieden sein, weil es einem ja doch gut geht, wie es neoliberale Moralisten empfehlen. Ich lese es, weil es eine Sprache ist, die einfach und doch tief zu Herzen gehend ein Leben schildert, das menschenunwürdig ist und in dem sich trotzdem seine Würde zu bewahren eine tägliche, übermenschliche Anstrengung bedeutet.

Ich verfolge dieses Leben auch deshalb weil ich Tagebücher liebe, die den Alltag beschreiben. Und der Alltag hat viele Gesichter überall auf der Welt.
Deshalb ist dieser alte Reclam Band schon ein bisschen zerlesen. Ich schlage ihn auf, so als besuchte ich diese Carolina mal wieder und fragte, wie es ihr geht.

Es ist kaum noch möglich, in Worten, die nicht verschlissen und abgegriffen sind, das Elend zu benennen . Alles ist schon gesagt und darum lese ich – statt nach neuen unverbrauchten Worten zu fahnden - lieber nach, was schon niedergeschrieben ist, unverstellt und ohne Pathos. Aus Anteilnahme. Die Empörung stellt sich ohnehin ein, wenn man sich vor Augen hält, dass sich das Leben in den Favelas von Sao Paulo nicht geändert hat, eher ist es noch brutaler geworden.

Eines Tages trifft Carolina Maria de Jesus auf den Reporter Audalio Dantas und der schildert in einer Reportage ihr schweres Leben. Sie wird bekannt und erlebt voll Genugtuung, dass es sich gelohnt hat, das Buch führen über ihren täglichen Überlebenskampf. Das Tagebuch endet am 1. Januar 1960 mit den Worten: „Ich stand um 5 Uhr auf und ging Wasser schleppen“. Ich fragte mich oft, was aus ihr geworden sein mag, denn immerhin deutete sich indem Buch eine Wende an.

Fortsetzung: „Das Haus aus Stein“

Erst vor einiger Zeit habe ich erfahren, dass dieses Buch eine Fortsetzung hat, und die ist nur bedingt ermutigend. Nicht nur Audalio Dantas Reportage wird ein Erfolg, sondern auch das gesamte Tagebuch wird gedruckt und weltweit ein Erfolg.

Dieser plötzliche Reichtum ist anfangs ein Segen für Carolina. Sie zieht in ein neues, das steinerne Haus, in eine neue Umgebung, in der sie sich aber fremd fühlt. Sie gibt ihr Geld mit vollen Händen aus, gibt auch vielen Armen und Notleidenden davon ab, lässt sich auf finanzielle Abenteuer und auch allerlei bizarre Medienauftritte ein. Irgendwann verarmt sie wieder und stirbt erneut in einer Hütte. Sie hat es nicht geschafft, sie war zu unerfahren mit dem Leben außerhalb ihres Umfeldes, sie hatte schlechte Berater und fiel den üblichen Geschäftemachern zum Opfer. Auch der Reporter Audalio Dantas konnte sie nicht davor bewahren .
Aber die Kinder Vera und Joao leben inzwischen in anderen Verhältnissen. Sie haben einen Beruf gelernt und Vera hat einen Facharbeiter geheiratet und lebt außerhalb der Favelas.
Traurig hat mich diese Wiederbegegnung trotzdem gestimmt. Das Leben ist keine Happy end Geschichte.
Dennoch lese ich das „Tagebuch“ immer mal wieder nach. Denn nach wie vor sind es wenige, die es aus der Favela in ein Haus aus Stein schaffen.

Freitag, 15. Januar 2010

Das Wort zum Tage - Das Gute im Menschen

Wenn ich morgens vor halb sieben wach bin, dann stecke ich mir den Knopf ins Ohr und höre Deutschlandradio Kultur mit guten aktuellen Reportagen, Berichten, manchmal einem stockkonservativen politischen Feuilleton.

Christliche Wegweisung liefert ein „Wort zum Tage“, bei dem sich die evangelischen mit den katholischen Wortlieferanten abwechseln..
Mal geht’s an und wird sofort wieder vergessen, mal ist es nichts als SMS-Kummerkastenprosa gewissermaßen McChrist, mal ist es schlicht und ergreifend hochfahrend, im wahrsten Sinne des Wortes. Nur leider nicht im Niveau, sondern in der Anmaßung.

Heute sprach Pfarrer Wolf Fröhling, der u.a. ein Gespräch schildert, das der Lobetaler Pfarrer Uwe Holmer mit seinem im Kirchenasyl befindlichen Gast Erich Honecker führte. Dabei sei es auch um das Scheitern des Sozialismus gegangen.
Er sei am Menschen gescheitert, der Sozialismus, habe der Pfarrer Holmer dem Erich Honecker erklärt. Denn; Der Mensch sei eben nicht gut, sondern ein Egoist und ein Sünder, kolportiert der wackere Gottesmann das Gespräch.
Nebenher wischt Fröhling – übrigens im geschriebenen Predigttext nicht enthalten -den Spruch, man solle an das Gute im Menschen glauben, souverän beiseite. Das hält er für billigen Trost, der Gottesmann.
Irgendwie klingt das so, als hätten nur Gott und sein irdisches Personal das Recht, den Menschen zu begnadigen gewissermaßen, normale Gotteskinder selbst nicht.

Tja, wenn das so ist, dann war dieses tolldumme Predigtstück die Innenseite der Jacke, die sich andauernd die Apologeten des Kapitalismus anziehen. Gier und Egoismus gibt’s nun mal und sie haben die Welt vorangebracht. Und ist nicht das Anhäufen von messbaren Reichtümern, die Vermehrung des eigenen Hab und Gutes gottgefällig und folgerichtig und sichert einen Platz im Himmel? Wo habe ich das bloß gelesen. Ach bei Max Weber. Na, zugegeben, ich vereinfache. Muss man manchmal. Amen.

Ein früher Morgenvogel, glaubt, er fängt den armseligen Erdenwurm, wenn er so herumpriestert und herrschaftskompatible Argumente liefert. Der Kapitalismus ist das viel menschlichere Konzept, denn es appelliert nicht an das Gute, das ja ohnehin gar nicht vorhanden ist. Der Rest muss beten lernen, wenn die Not es sie nicht ohnehin lehrt.

Der schlaue kabarettistische Kirchenmann, der sich durch und durch als Künstler begreift, wie ich inzwischen nachlesen durfte, liefert ohnehin schon die ganze Woche Wegweisungen zur Politik statt die Menschen zu trösten. Die informiert er andauernd nur über ihre Kleinheit und ihre Schwächen, mit denen sie sich arrangieren sollten.

"Ich bin ein rechtes Rabenaas,
Ein wahrer Sündenkrüppel,
Der seine Sünden in sich fraß,
Als wie der Rost den Zwippel."

Kann man in den Buddenbrooks nachlesen.

http://www.tv-ev.de/kirche_im_radio_bundesweit_1346.html

Meine Güte, nach solchen Belernungen hatte ich heute morgen eigentlich überhaupt keine Lust mehr aufzustehen: Wenn mein Mann nicht immer käme und zwar mit seinem eigenen Morgengebet: „Meine Liebe, ich habe uns einen schönen Kaffee gemacht, steh’ auf“. An Tagen. wo es ein Wort mehr braucht, sagt er auch manchmal: „Komm, fasse Mut“, eine bessere Wegweisung gibt’s nicht. Und dann denke ich immer: Doch es gibt gute Menschen.
Und erhebe mich im besten Sinne aus der Kleinheit dieser Predigttexte in Richtung Sanitärtrakt. Waschen tut auch da ganz gut

Mittwoch, 16. Dezember 2009

TU T'EN VAS – FÜR ALLERLEI FREUNDE UND FREUNDINNEN

(„Dein Herz hat anderswo zu tun“ – Ingeborg Bachmann)

Abschiede sind immer traurig, ob wirklich oder unwirkliche. Beides tut weh
Das triviale Bild vom Leben, das ein Karussell ist, und sich dreht und plötzlich sind die anderen Fahrgäste ausgestiegen und man selbst blickt ratlos in die Runde und bleibt allein zurück – es geht mir durch den Sinn und trübt mir die Stimmung.

Sie wird aufs Land ziehen, meine junge Freundin Und ich bin überrascht über die Größe meines Kummers. Noch ist sie ja da, aber wenn wir uns treffen, spüre ich, dass sie den Kopf fast abgewandt hat, sich schon wegdreht aus meinem Leben, zu etwas Neuem will und ich sie sehr vermissen werde.
Seltsam, wir sehen uns manchmal wochenlang nicht, haben auch schon Monate ins Land gehen lassen, aber ich wusste, sie ist da, ich kann hin und wieder nach ihr sehen in dem Buchladen, in dem sie arbeitet. Oft habe ich es sogar dabei belassen und sie gar nicht angesprochen, manchmal hat sie mich gesehen und wir haben ein bisschen geredet oder gleich beschlossen, dass wir uns treffen müssen.

Wenn wir uns im „Olivenbaum“ verabredet haben, dann habe ich vorher innerlich repetiert, was ich ihr gern erzählen möchte, damit ich nichts vergesse. Wir saßen beim Rotwein und haben geredet und geredet und auf dem Heimweg haben wir uns noch mal per SMS bestätigt, was das wieder für ein schöner Abend war und wie wir alles so gut besprochen haben. Sie hört so intensiv zu und ich muss bei ihr manchmal erst nachfragen. Hoffen kann ich nur, dass ich sie trösten konnte bei dem was bedrückend war, so wie sie mich getröstet hat.
Nach solchen Abenden holte mich mein Mann oft an der Straßenbahn ab und ich freute mich, wie gut ich es habe, gerade verabschiedet von einer guten Freundin, empfangen von einem vertrauten und fürsorglichen Partner.


Wir sind so verschieden. Sie – in den Vierzigern - immer in Bewegung immer auf der Suche, sieht so fragil aus und ist so tatkräftig. Nie würde sie wie ich stundenlang an einem Computer ausharren. Sie muss immer alles ändern, immer wieder neu gruppieren, immer alles umwerfen. In der Stadt ist sie ständig umgezogen. Ich fand das schrecklich und beeindruckend, diese Lust, immer wieder neu anzufangen, ein Durcheinander zu ertragen, das mich verrückt gemacht hätte.

Bewundert hat sie für mich oft für meinen Humor, für mein Zugehen auf Menschen, für mein Grundvertrauen in alle, die mir begegnen, für meine Bereitschaft zu riskieren, das etwas schief gehen kann, wenn man ein Spiel spielt, das man nicht wollte.
Dafür bin ich – die sich mit Worten doch so gut verteidigen kann - völlig hilflos am Steuer eines Autos, werde panisch bei jeder Änderung der Route, während sie gelassen fährt und andere Autos warten lässt, während sie geruhsam wendet.

Wenn man Glück hat, beschenken einen die Jahre mit neuen Empfindungen und Einsichten. Aber dieser Tage plagt mich das Herz mit Sehnsüchten, die wie ein „Flash back“ daherkommen, an bittere Abschiede aus alten Zeiten erinnern.
Noch einmal wünscht man sich tiefe Gefühle, noch einmal möchte man spüren, was intensives Leben heißt in einem Alltag, der sich verflacht und in Rituale aufgeteilt ist, die wiederholt und wiederholt werden.

Und jetzt weiß ich so im Abschied, dass meine Gefühle tiefer sind, als ich dachte, wenn wir unsere Zärtlichkeit füreinander zeigten. Schon lange weiß ich, nicht erst mit den Jahren, dass es eine Erotik des Gesprächs gibt und dass ich ohnehin erotisch nicht festliege
Ich liebe die leichten Berührungen, denn sie gehen mir mehr unter die Haut als Umarmungen, die einen in eine Form pressen wollen, die man nicht ist. Eine Fingerspitze ist mir erotischer als eine ganze vereinnahmende Hand.
Warum schreibe ich das? Weil auch diese leichten Berührungen mir bald nicht mehr zuteil werden. Die kleinen, schnellen Umarmungen, die Begegnung mit einer weichen Wange. Immer gab es die gute Balance aus Nähe und Abstand, die uns beiden so gut tut.

Manchmal ist das Leben hart und es gehen viele. Eine Freundin will mir nicht mehr wohl, eine andere entfernt sich in die Landschaft der Lausitz und einer, den ich nie gesehen habe, verschwindet in die Vergesslichkeit des Internets.

„Dein Herz hat anderswo zu tun“, heißt es in Ingeborg Bachmanns „Erklär mir, Liebe“. - So geht es in diesen Tagen mit „Lieben“, die mir für eine Weile freundlich und tröstlich den Blick zu jener grauen Nebelwand verstellten, hinter der das Alter wartet.

Sonntag, 27. September 2009

Nach der Wahl

Ich frage mich, ob es auch bei früheren Wahlsendungen Sitte war, dass ein BDI-Chef mit in einer Interviewrunden stand. Dass die Gewerkschaft dabei war, sollte ein Zeicihen der Ausgewogenheit sein. Aber es klingt schon merkwürdig, wenn ein Wirtschaftsvertreter schon mal seine Mitsprache - die es ja ohnehin gibt - so offen Mitsprache und Enfluss anmeldet.

Die Macht verlagert sich - noch deutlicher und wenig kaschiert - in Richtung der mächtigen Lobbygruppen. Der hohe Wahlsieg der FDP schafft neue Kanäle dafür. Jetzt hängt Merkels Glaubwürdigkeit für mich davon ab, ob es ihr gelingt, diese Einflüsse einzuhegen . Das Stichwort dafür ist heute abend in den Medien der Kündigungsschutz.

Ansonsten weiß ich nicht, ob eine Große Koalition besser gewesen wäre. Ich persönlich finde, dass - wenn es ums Messer wetzen geht -ein Franz Münterfering mit seinen bieder-heuchlerische Statements und den Intrigen mal voll reinlaufen könnte. Er kann ruhig auch Mist - die Opposition ist ja selbiger - forkeln den er selbst mit zu verantworten hat.

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