Mittwoch, 21. Mai 2008

Ein musikalischer Arztbesuch

Erna Berger "Auf Flügeln des Gesangs"

Es war ein glücklicher Umstand, dass ich bei einem – eher beiläufigen – Besuch beim Arzt ein gerade auf dem Pankower Markt gekauftes Buch in der Tasche hatte. Ich musste – erwartungsgemäß – über eine Stunde warten, wegen zwei Überweisungen und einem Privatrezept. Also las ich im Wartezimmer „Auf den Flügeln des Gesangs“, die Autobiographie von Erna Berger. Faszinierend, weil sie erstens schon in jungen Jahren ein interessantes und abenteuerliches Leben geführt hat, vor allem aber, weil sie zweitens so viel über das Abenteuer „Singen“ erzählt. Geradeheraus ohne Eitelkeiten erzählt sie da zum Beispiel von enormen Stimmproblemen als sie Ende 40 ist und die Wechseljahre langsam beginnen. Die berühmt leichte und schlanke Stimme will nicht mehr so leicht die Höhen erreichen. Sie gewöhnt sich eine völlig neue Gesangstechnik an. Spannend ist so was.

Diese Sänger haben ja alle irgendwo einen Stich, aber den aus guten Gründen.
Der ganze Körper ist beim Singen ein Instrument. Die technischen Empfehlungen sind herrlich: Sie soll den Ton „von oben durch den Körper herunterziehen.“ Dann aber wieder soll sie „den Körper ganz weit öffnen und unten durchsingen, das hohe C muß quasi durch die Beine kommen.“

Ja, was denn nun, fragt man sich von oben oder von unten? Egal sie schildert das alles so unprätentiös, dass es Freude macht. Wie sie beim Singen flach auf dem Boden gelegen, dann wieder die Stirn an die Wand gepresst hat. Mir gefiel auch sofort, dass sie am Beginn bar allen Ehrgeizes war. Immer haben andere ihr empfohlen, sich die Stimme doch ausbilden zu lassen und eine Bühnenlaufbahn anzustreben. Sie aber dachte, dass sie mit ihren 1,50 Metern ohnehin nicht als Opernsängerin in Frage kommt.

Aber – sie kam die Karriere – in Dresden begann sie in kleinen Schritten, mit den berühmten „Wurzen“, dann kam die Staatsoper Berlin – mit den üblichen Loyalitätsbekundungen gegenüber den Nazis. Sie bezeichnet sich als völlig unpolitisch – das sagen die meisten. Sie hat – belegbar – auch Gefolgschaft verweigert. Das Kriegsende erlebt sie in Berlin und schafft in den vierziger Jahren noch einmal den großen Sprung an die Metropolitan Opera. Als ich gerade an dieser Stelle war, musste ich ins Sprechzimmer.

Ich habe mir gleich zu Hause die Erna Berger CD rausgesucht, die irgendwo noch im Regal stand. Meine Mutter mochte diese scheinbar so leichte und beseelte Stimme. Als Kind habe ich mir immer mal wieder einen Defa-Film – 1949 gedreht - angesehen „Die Hochzeit des Figaro“. Da spielt die Schauspielerin Angelika Hauff, die Stimme aber ist von Erna Berger. Mich hat immer gewundert, dass die männliche Hauptrolle mit dem Sänger selbst – Willy Domgraf Fassbaender – besetzt war, die weibliche aber so sonderbar geteilt. Erna Berger berichtet, sie habe zu der Zeit, als der Film gedreht wurde, Verpflichtungen in Großbritannien gehabt. Wer weiß, vielleicht war sie den Filmemachern auch zu alt. Aber ich war damals sehr fasziniert von diesem Film.
So war das ein sehr bildender und guter Arztbesuch.

Dienstag, 20. Mai 2008

Die Heinersdorfer Moschee

Sie werden bald Einweihung feiern an der stillen Tiniusstraße. Die liegt auf der anderen Seite der breiten Autobahnauffahrt, auf die wir blicken. Und von der großen Kreuzung Prenzlauer Promenade sieht man sie schon - die Kuppel der Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde.

Ich habe mit gemischten Gefühlen den Streit um diese Moschee verfolgt. In Pankow, zu dem Heinersdorf gehört, haben sie den Bau sehr schnell genehmigt. Dann haben die Bürger sich gegen die Moschee gewandt und wurden - weil das Ganze im Osten spielt - sofort als rassistischer bornierter Bürgermob beschimpft. Die Ahmadiyya Gemeinde ist eigentlich die toleranteste und offenste "Abteilung" innerhalb des Islam, sagen Experten.
Aber die Heinersdorfer wollten keine Moschee, auch nicht in der stillen Tiniusstraße - das beklagen die Soziologen, die ihre Forschungen betreiben und die Heinersdorfer Bürger in verschiedene Kategorien einteilen: Die Bornierten, die Ängstlichen, die Gleichgültigen, die Profilneurotischen, die dezidiert Ausländerfeindlichen und letztendlich: die Weltoffenen (meist Zugezogene).

Die Moscheegegner haben auf der Website von Ahmadiyya einen Beitrag ausfindig gemacht, der den Genuß von Schweinefleisch als Ursache für Homosexualität nennt, die auch in dieser "gemäßigten Abteilung" als verwerflich gilt. Nachdem sie das ordentlich skandalisiert haben, nahm die Gemeinde diesen Beitrag von der Seite.

Wie auch immer: die Heinersdorfer werden sich dran gewöhnen müssen. Ich fände es schön, wenn die Gemeinde hier reinwächst. Vor einem halben Jahr haben sie, die bis jetzt noch in Reinickendorf in einem Einfamilienhaus residieren, die Frauen aus Pankow eingeladen. Sie haben - sehr nachdrücklich und ängstlich mehrfach darauf hingewiesen, dass diese Einladung - bitte, bitte - nur für Frauen gedacht ist. Mir fiel bei dieser Gelegenheit ein, dass die Fundamental-Feministinnen, die Anfang der 90er hier zuerst auftauchten, allen Frauen eingeschärft haben, dass Männer in einem Frauenprojekt und bei Frauenveranstaltungen nichts zu suchen haben. Also auch nur für Frauen.
Die Ostfrauen hat das immer amüsiert oder auch geärgert. So ändern sich die Zeiten.

Im Westberliner Charlottenburg wollte der Inssan-Verein auch eine Moschee bauen. Dort gab es erst ein o.k. und nachdem sich die Bürger (diesmal kein Bürgermob) gegen die Pläne gestellt haben, wird behauptet, die Baugenehmigung könne - aus verschiedenen Gründen - nun doch nicht erteilt werden. Das mag ja alles stimmen, aber mir fällt doch auf, dass sie im Westen einfach geschickter sind, wenn es um Entscheidungen geht, die in der Öffentlichkeit aufmerksam beobachtet werden. Aber die Toleranz-Polizei hat auch sie schon beim Wickel. Mir fällt deren selbstgerechter Ton genau so auf den Wecker wie der feindselige Ton der Moscheegegner. Einer der ersten, der sich auf die Seite der Gegner stellte war ein gewisser Friedbert Pflüger von der CDU. Der hat ganz Berlin mit seiner Pro-Tempelhof-Initiative im Atem gehalten. Gott Sei Dank ist er gescheitert.

Samstag, 3. Mai 2008

Hygiene ist ein Kulturgut

Man soll im Umgang mit solchen Werken wie „Feuchtgebiete“ nicht zu grundsätzlich und humorlos sein. Trotzdem: Mir ist diese Lust am Unzivilisierten höchst suspekt. Es ist nicht befreiend, sondern eine Regression ins Kindliche, Dreckige, fast Barbarische.

Wenn man Berichte liest über Leute, die irgendwo unter unhygienischen Bedingungen leben mussten – in Internierungslagern oder in der Kriegsgefangenschaft oder im KZ, dann waren für sie auch die hygienischen Bedingungen Mittel der Entwürdigung und kalkulierten Demütigung. Im Internierungslager Gurs in Frankreich haben sie den Frauen verboten, sich ganz zu waschen. Nach ein paar Tagen haben sich die Frauen auch in Gegenwart der Wachtposten über dieses Verbot hinweggesetzt.

Dem Hygienewahn der Gegenwart eine Lust am Dreck, am stinkenden Exkrement und der übelriechenden Körperausscheidung entgegen zu halten und zwar völlig undifferenziert, das ist - in den Kalkülen der Gegenwart– finanziell erfolgreich, aber sonst einfach nur schwachsinnig. Meine Wertschätzung für Sophie Roche, die ja sonst ganz vernünftig zu sein scheint, ist auf Null gegangen.

Es gibt sicher eine sexuelle special interest group, die sich am Körpergestank aufgeilt, aber die anderen, die das Buch gekauft haben, sind dem Medienhype aufgesessen.
Und noch ganz praktisch gesprochen – Menschen sterben an Unsauberkeit überall in der Welt, millionenfach. Vielleicht ist Frau Roches Werk ja auch ein feinsinniger Protest gegen diesen Skandal. Wer weiß, wer weiß.

Sonntag, 27. Januar 2008

Sanda Weigl

Das ist viele Jahr her, wir waren in der vormilitärischen Ausbildung in der Sächsischen Schweiz. Alle Studentinnen waren dort, die halbwegs o.k. waren.
Es war anstrengend, aber auch manchmal ganz lustig. Und wir haben viel Musik gemacht. Eine von den Studentinnen - man sagte, sie sei eine Nichte von Helene Weigel - hatte eine Wahnsinnsstimme. Die sang so Sachen wie "Dona dona" sehr schön. Sie trat später auch mit einer Band auf, die sich "Team 4" nannte. Noch später ging sie mit ihrem Freund, dem Dissidenten Thomas Brasch nach dem Westen.
Im Internet ist sie als Sanda Weigl zu finden. Offensichtlich war ihr der verwandtschaftliche Name zur großen Helene nicht so recht.
Ihre Wurzeln sind wohl auch eher rumänisch oder Gypsy.
Musik von ihr habe ich gefunden - sehr beeindruckend.


http://music.barnesandnoble.com/search/product.asp?ean=035828031523

Dienstag, 1. Januar 2008

Morgenspaziergang


Wenn man am Silvesterabend brav war, wird man mit einem schönen Morgenspaziergang belohnt. Gemütlicher Jahresausklang. Ein bisschen Wein, ein Gläschen Sekt.. Mir kam es so vor, als sei es überall ein bisschen ruhiger als sonst. Auch das Feuerwerk war nicht so toll wie im Jahr davor. Das ist aber auch eine Frage der Wetterlage. Da war ein so klarer Himmel, dass wir bis fast nach Potsdam gucken konnten. Ein grandioses Bild.
In diesem Jahr ist es trüber. Also Spaziergang durch die leeren Straßen unseres Viertels bis zum Pankower Anger. Dort aber war noch immer oder schon wieder Leben. Beim Türken hockten einige Gestrandete um den Tisch. Aus der Kneipe gegenüber kam ein junger Mann rausgestürzt – ein anderer hinterher: Streitgebrüll. Keine Ahnung, worum es ging.
Das ganze Kreuzungsgebiet bevölkert von Reinigungskräften, die aber nicht aussahen wie städtische Angestellte. Das sind Arbeitslose, die sie zu solchen Dienstleistungen heranziehen. Sie wirkten auch nicht sehr leistungsbetont, sondern zogen gemütlich mit ihren Stahlbesen und Transportkarren die Straße entlang und fegten die Reste der Silvesternacht zusammen. Zwischendurch blieben sie stehen und quatschten. Zwei ältere Männer – der eine mit einem Kopftuch wie einst Arafat, gewissermaßen Spätalternative – verständigten sich über ihren E-Mail-Verkehr. Ich ging weiter – noch immer das Streitgebrüll in den Ohren, aber doch schon besänftigt von den gemütlichen Arbeitsverpflichteten.
Was könnte ich mir für dieses Jahr vornehmen? Das Rauchen habe ich schon lange aufgegeben, womit man in diesen repressiven Antiraucherzeiten schon mal gut dran ist. Nicht immer gleich das Schlimmste befürchten – mehr Geduld. Na, mal sehen.

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Zuletzt aktualisiert: 12. Apr, 12:18

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