Freitag, 27. Juni 2008

Erzählcafe

Ein „Erzählcafe“, in dem zwischen den Generationen ein Gespräch zustande kommen soll – so heißt das Projekt, bei dem ich alles auf einmal und allein mache, weil die Mitstreiterin abgesprungen ist. Der Ort des Geschehens – eine ehemalige Schule jetzt ein Mehrgenerationenhaus.
Am Anfang war ich mit diesem Ding reichlich unglücklich, mal abgesehen davon, dass ich das dafür bereitgestellte Geld doch ganz gern verdienen wollte. Aber ich wollte es nicht als reines Münchhausen-Event mit durchdachter Berichtslyrik durchziehen. Jedenfalls war es ein schweres Beginnen und ich hatte immer mal wieder Lust, die Brocken hinzuschmeißen.

Aber jetzt - wo es bald vorbei ist - läuft es ganz gut. Für gestern hatte ich ein sehr triviales Thema ausgesucht: Kindheit und Erwachsen sein. Interessanterweise gibt es dazu eine Menge vielseitige Literatur, die durchgängig konstatiert, dass diese beiden Entwicklungsstadien sich zunehmend wieder annähern und daraus spannende Schlussfolgerungen ziehen.

So saßen wir im Hof: Jüngere Mütter und deren Mütter. Die ganz Jungen – Kinder zwischen 5 und 13 Jahren – nahmen mal teil und mal nicht. Sie kamen heran, lächelten freundlich, setzten sich kurz mal bei der Mutter auf den Schoß, nahmen sich eine Kirsche, sprangen wieder runter, wenn woanders was Interessanteres war. Aber sie quängelten nicht, gackerten auch nicht rein, waren einfach mal da und dann mal wieder dort. Am Ende spielten sie mit lautem Kriegsgeschrei Einkriegezeck über den ganzen ehemaligen Schulhof.
Mir fiel – nicht zum ersten Mal – auf, dass diese Kinder bei allem Krach und aller Unruhe, angenehm im Umgang sind, obwohl es nicht einfach ist, sie in dieses Erzählcafé zu integrieren.

Es ist andererseits wieder ganz einfach: Ohne dass die Mütter andauernd irgendwelches Theater drum machen, lieben sie ihre Kinder wirklich und das ziemlich entspannt und ohne viel Gewese und Gehabe. Das spüren die Kinder und sind das, was man in Märchen frohgemut nennt. Natürlich spielt es auch eine Rolle, dass sie mehrere sind und sich gegenseitig beschäftigen. Es kam aber auch nicht andauernd ein Kind an, um Beschwerde zu führen.
Gefiel mir gut, diese Stimmung. Ich denke mal, es gibt keinen anderen Weg, als das Gefühl, geliebt und – natürlich auch – beschützt zu werden.

Ein Unfall

Eigentlich beachten wir die ständigen Sondersignale nicht mehr, weil sie so oft am Tag zu hören sind. Nur, wenn sie ganz plötzlich verstummen, dann sehen wir manchmal nach. Ich war schon im Gehen für eine schnelle Besorgung, als dies geschah. P. blickte aus dem Fenster - Feuerwehr mit Mannschaftswagen, Gerätewagen, SMH. Was genau los war, konnten wir nicht erkennen, weil da ein Häuservorsprung ist.

Ich ging zur Haltestelle und da standen viele Leute. Die Einmündung in die Galenusstraße war gesperrt und auf der Pasewalker, auf die sie mündet, war ein Sichtschutz aufgebaut, in dem sich Männer hektisch bewegten. Davor war das völlig zerschmetterte Hinterrad eines Motorrades zu sehen und ein Haufen Lederklamotten.

Ich blieb stehen. Einige Radfahrer mit Kindern vor sich im Sitz fuhren schnell vorbei und schüttelten den Kopf. Ich wollte wissen, was passiert ist und ob es Verletzte gab und überhaupt, was jetzt geschieht. Ich sah die kraftvollen und rhythmischen Bewegungen zweier Männer, die bei dem Verletzten knieten. Dann hielten sie wieder ein, dann ging es weiter....eine ganze Zeit noch.

Ein Lieferwagen stand auf den Straßenbahnschienen, die Seitentür eingedrückt. Das ist eine böse Einmündung. Die Fahrzeuge müssen erst die ungesicherten Straßenbahnschienen befahren und sich dann in die Pasewalker einfädeln, wo der Verkehr in beide Richtungen sehr schnell fließt. Es ist eine Ausfallstraße und nur wenige halten sich an die Geschwindigkeitsregeln. Irgendwann kommt sie immer, die Lücke, aber nicht alle haben die Geduld. Die Straßenbahn war diesmal allerdings nicht verwickelt. Sie stand nur da, weil der Lieferwagen noch eine Weile die Schienen blockierte. Langsam fuhr er später in die Galenusstraße, die inzwischen verstopft war wie die Pasewalker. Die Autos versuchten, auf diese oder jene abenteuerliche Weise die Unfallstelle zu umfahren, alle wollten heim. Irgendwann wurden so viele Absperrkegel aufgestellt, dass niemand mehr durchkam. Die Motorräder waren noch am besten dran, sie konnten sich vorbei schieben. Die LKW mussten stehen und stehen - man kann da nicht wenden.

Irgendwann wich die Betriebsamkeit der Männer hinter dem Sichtschutz einer merkwürdigen Ruhe, so etwas wie Gelöstheit und Entspannung beendeten die Hektik. Die beiden, die am Boden gekniet hatten, standen auf, sprachen miteinander, es schien als mache einer einen Scherz, der andere lachte kurz, und dann rollte er einen Infusionsschlauch auf und schlenkerte ihn in der Hand beim Davongehen. Auch die anderen Geräte wurden weggeräumt. Es war vorbei. Sie räumten den Sichtschutz ab, während eine Plane gehoben wurde und sich wieder senkte. Dann wurde das weiße, längliche Bündel auf die Trage gelegt und zu einem der roten Autos gerollt. Langsam, fast gemütlich, es eilte nicht mehr.

Als ich die Galenusstraße entlang ging, fuhren sie dort hinunter bei geringster Geschwindigkeit. Als ich wieder zurückkam vermaßen sie noch immer die Unfallstelle. Weißer Sand war gestreut, wo der Verletzte vorher gelegen hatte. Was wirklich passiert war, wurde mir noch immer nicht ganz klar. Vorfahrt nicht beachtet, ein Zusammenstoß, eine Schleuderbewegung - ein Sturz. Es war so still auf der Straße, der Verkehr rollte noch nicht. Alle standen, das Leben geht weiter, einer kommt heute nicht nach Hause.

Nachtrag: Quelle: dpa Bei einem Verkehrsunfall in Berlin-Pankow ist am Dienstagnachmittag ein 30-jähriger Motorradfahrer ums Leben gekommen. Nach ersten Ermittlungen der Polizei übersah ein Autofahrer beim Abbiegen den Motorradfahrer. Der 30-Jährige war mit vermutlich überhöhter Geschwindigkeit auf der Pasewalker Straße in Richtung Breite Straße unterwegs. Der 39-jährige Autofahrer fuhr auf der Pasewalker Straße stadtauswärts und wollte nach links in die Galenusstraße abbiegen. Es kam zum Zusammenstoß. Trotz sofortiger Rettungsmaßnahmen durch einen Notarzt verstarb der Mann noch am Unfallort. Er ist bereits der fünfte Motorradfahrer, der in diesem Jahr auf Berlins Straßen sein Leben verlor. Damit erhöht sich die Gesamtzahl der Verkehrstoten auf 23.

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Zuletzt aktualisiert: 12. Apr, 12:18

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