Samstag, 5. Juli 2008

Rassismus in Ost und West

Nehmen wir mal an – in einem kleinen Ort in Deutschland wohnt ein Schwarzer aus Nigeria mit seiner weißen Verlobten. Von Anfang an werden er und seine Freundin rassistisch beschimpft. Die Siedlung wird vorwiegend von Hartz IV-Empfängern, sozial Deklassierten auch Kleinkriminellen – Verlierern eben - bewohnt. Eines Tages kommt der Schwarze an einer Gruppe trinkender Leute vorbei – sie pöbeln ihn an, halten ihn auf und schlagen ihn. Dann verfolgen sie ihn bis zu seiner Wohnung. Sie treten gegen die Tür. Er springt aus dem Küchenfenster und sticht im Kampfgerangel mit dem Messer zu. Einer der Schläger wird am Hals getroffen, muss ins Krankenhaus, kann aber bald wieder entlassen werden.

Was würde man bei so einer Szenerie wohl berichten, wenn sie im Osten spielte: „Rassismus in Ostdeutschland –Mob verfolgt Schwarzen“. Und wenn jemand erklären würde, dass der Schwarze ein Wirtschaftsflüchtling war und es seiner Umgebung auch nicht leicht gemacht habe – würde man das als billige Entschuldigung abtun. Aber es ist eben nicht der Osten, sondern das Ganze hat sich in Wahlstedt bei Bad Bevensen abgespielt.
Und da wird nicht gnadenlos generalisiert und vielleicht über Rassismus in Nordwestdeutschland und daraus eine allgemeine Mentalität definiert.
Und wenn ein Staatsanwalt im Osten sofort den Schwarzen als Verdächtigen und Schuldigen anklagen würde, du liebe Güte, was gäbe das für ein Geheul.

Und wenn man so was in irgendeiner Debatte aufbringen würde, dann würde einem möglicherweise entgegengehalten, dass man kalt und mitleidslos einen armen Menschen zum Beweismittel macht.
Es gibt zwei Sichten auf Ereignisse – je nachdem in welchem Teil Deutschlands sie spielen. Und das ist übel und kränkend und macht die Menschen böse und ungeduldig – unwillig zu Einsicht und Änderung.

Weltliteratur an den Karower Teichen

http://www.welt.de/welt_print/article2176210/Berlin_ist_immer_noch_verletzt.html

Heute war ein Interview mit Jonathan Franzen in der „Welt“. Er gibt bereitwillig zu allen möglichen Themen Auskunft, vor allem zu Berlin, das er noch immer als eine verletzte Stadt erlebt.
Er stellt – sich wiederholend – fest, dass ihn Berlin so reizt, weil es einfach nicht fertig ist. Er findet die neue USA-Botschaft nicht so richtig gut, will aber nicht dem allgemeinen Gemaule sekundieren.
Und er meint, dass New York und Berlin nicht vergleichbar seien. „In New York dreht sich alles ums Geld. Die Menschen dort werfen ständig einen Blick über ihre Schulter, ob hinter ihnen nicht jemand kommt, der besser ist. Von Berlin habe ich einen anderen Eindruck. Hier scheinen die Menschen Zeit zum Frühstücken zu haben. Und manchmal trinken sie einfach den ganzen Tag Bier.“
Wie wahr, wie wahr. (Hartz IV und Bier, das lob’ ich mir)

Aber das wirklich Rührende für mich war, dass Franzen zu den Orten, die ihn in Berlin faszinieren, weil sie so ruhig und unstädtisch sind, die Karower Teiche zählt. Das ging mir nahe. Er hat jene Biotope durchforstet – zwischen Tegel und Buch, durch die ich mich so oft und bewegt mit der S-Bahn bewegte, eine einzigartige Landschaft in der Stadtlandschaft.
Wie isses doch schön: Am literarischen Geschehen ist man nicht allein durch Teilnahme an literarischen events beteiligt, sondern vor allem durch die gleichen Gefilde, die man durchstreift.

Ein fantasierter literarischer Dialog könnte so gehen.

Frage: „Kennen Sie Jonathan Franzen?“

Antwort: „Ja, der Jonathan, ich streifte jüngst mit ihm um die Karower Teiche. Wir blickten auf das Wasser, deren Klarheit für Berlin noch immer erstaunlich ist. Von fern ratterte die Bahn und Franzen meinte: „Wie schön, dass hier immer und andauernd nichts fertig wird“.
Ich wandte ein: „Wenn nichts fertig wird, dann braucht man ja auch keine „Korrekturen“. Aber das focht ihn nicht an.

Jetzt muss ich „Die Korrekturen“ bloß noch lesen.

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Zuletzt aktualisiert: 12. Apr, 12:18

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