Ausgerechnet mit dem Satiriker Wiglaf Droste ein Gespräch zur neuen Bürgerlichkeit, was immer das sein mag. Der Aufruf zur Selbstverantwortung, wenn man wirklich Freiheit leben will - alles immer ganz einleuchtend. Der Abschied von der Familie als Gesellschaftsmodell und die Einsicht, dass es nun mal die patchwork-Familie ist, die die Gegenwart bestimmt. Abschiede und neue Einsichten beziehen sich auf etwas, das vorher da war. Was ist mit denen, bei denen vorher war ganz anderes war. Ich kenne patchwork aus Zeiten, wo alle dabei nur an eine Stickerei dachten. Mir ist- auch wenn sich Dinge ändern - immer gleich fremd unter diesen Debattenmackern und Zeitdiagnostikern.
Wenn man die Friedrichstrasse von den „Linden“ in Richtung Check Point Charly läuft, kreuzt man nach der Behrensstrasse die Französische Strasse.
Dort gab es früher eine der vielen Fischkneipen, die fast immer „Gastmahl des Meeres“ hießen, so auch diese.
Zu den bemerkenswerten Sozialleistungen, mit denen wir einst bedacht wurden, gehörten Ermäßigungsmarken für das Essen in dieser Kneipe. Das waren Bons, die dem Wert von zwei Mark der DDR entsprachen, den Rest legten wir selbst drauf. Das Essen kostete meist so zwischen drei und fünf Mark, wobei fünf Mark schon sehr viel Geld war.
Die Gerichte waren einfach und gut. Kartoffelsalat mit gebackenem Fisch, Grüner Hering mit Salzkartoffeln oder auch Fischfilet in Remoulade.
Man musste für ein Mittagessen dort viel Zeit mitbringen. Wir organisierten deshalb, dass wir am späten Freitagnachmittag hin pilgerten, wenn alles getan war und keiner Spätdienst hatte. Manchmal saßen wir da abends um zehn noch rum oder waren von dort in ein anderes Etablissement gezogen. Die Kneipe war der Ausgangspunkt langer Besäufnisse, beginnender oder beendeter Liebeshändel oder saufseliger Debatten über viele Politik, Leben und persönliche Dinge. Irgendwann mussten wir alle nach Hause. Ich war damals single, hatte unter den Kollegen einen festen Freund, der war verheiratet, weswegen es immer viel Theater gab.
Heute frage ich mich überhaupt, wie das die verheirateten Männer gemacht haben. Was haben die Ehefrauen gesagt, wenn die Männer am Freitagabend, leicht blau nach Hause kamen? Eine der Ehefrauen hat mir mal gesteckt, dass in diesem Verhalten ja auch eine gewisse Form von Verlässlichkeit zu erkennen sei. Sie rechne zu bestimmten Zeiten nicht mit ihm und damit wäre das vom Tisch. Er komme ja auch nicht unzufrieden nach Hause, sondern höchstens von Zeit zu Zeit ein bisschen zu redselig. Wieso nur kommt es mir in der Erinnerung so vor, als hätten wir alle damals unendlich viel Zeit gehabt. Wieso nur? Wir hatten einen mehr als Acht-Stunden-Tag. Wir hatten Zeitdruck und Hetze. Danach aber kam immer dieses lange gemeinsame, alkohol- und nikotingeschwängerte Innehalten, bevor jeder in sein Privatleben ging. Zugegeben, das waren nicht alle – es gab die Familienmenschen, gutbürgerliche Existenzen, die stets nach Hause gingen und sich an den gemeinsamen Lustbarkeiten nicht beteiligten.
Heute ist das ehemalige „Gastmahl des Meeres“ die absolute Edelkneipe in Mitte - das "Borchardt".
Sieht ziemlich unzugänglich aus. Da tagen jetzt Gerhard Schröder und Angela Merkel oder auch allerlei Wirtschaftskapitäne oder vielleicht auch Künstler.
Ein Fremdheitsanflug überfiel mich bei dem Gedanken. Wie sich eine Stadt so ändert, dass die Bewohner immer mal wieder wie ausgeschlossen da stehen, nicht mehr wissen, was vorher wo war oder sich wehmütig dran erinnern, wenn sie sich erinnern.
Über dieses Fremdeln aber tröstete mich der Gedanke an den Gendarmenmarkt vor einigen Jahren. So um 1993 habe ich da mit Studentinnen mitten im Bauschutt gestanden. Einige hatten eine Maultrommel mit und zirpten damit herum.
Das war ein Projekttutorium zu Irmtraud Morgners Roman "Amanda". Wir stiegen über die Gerüstbretter am Französischen Dom, wo eine Romanszene spielte und wir pilgerten für eine andere Romanszene die Treppen eines Hochhauses an der Leipziger Strasse hinauf. Es ist ja alles irgendwie bewahrt und aufgeschrieben, was mal war. Wie gut.

Dieses Bild habe ich zufällig wiedergefunden. Es stammt aus dem Sommer dieses Jahres. Die Dame spielt gern die Mundharmonika. Es heitere sie auf, erzählte sie auf Nachfrage. Wir haben sie dann gefragt, ob sie auch zum Gesang begleiten kann. Und dann haben wir zusammen gesungen. Seit 15 Jahren wohne sie in dem Heim erzählte sie, aber sie wirkte nicht so richtig „hospitalisiert“. Klagte ein bisschen übers Essen, aber sonst sei sie ganz zufrieden, sagte sie. Eine Eingebung, dass ich an diesem Tage meinen Fotoapparat dabei hatte.Wenn ich das Bild sehe, fühle ich mich getröstet, worüber auch immer.
Eine Mischung aus Pfarrhaus und Kulturhaus, ein Nachbarschaftszentrum für die gebildete Dame oder so. An ganz exzellenter Stelle in Pankow und sehr edel.
Heute hatten sie eine Lesung mit Anekdoten über Thomas Mann „Er konnte ja sehr drollig sein“, in der letzten Woche gab es Literarisch-Kulinarisches über die Lustmahle von Giacomo Casanavo. Die Vortragende ist die Gattin eines Menschen, der früher im diplomatischen Dienst der DDR stand. Sehr elegant und kultiviert und sehr freundlich. Und – sie halten sich alle für ziemlich links, wobei auch dieser Begriff ein bisschen zur Disposition steht. Und wenn die Veranstaltungen zu Ende sind, dann schwatzt man noch ein wenig miteinander. Wir – die Besatzung des Kulturstützpunktes – haben reichlich Pralines und Blumen bekommen, so zum Jahresende.
Als ich vor vielen Jahren als kurzfristige Ausleihkraft zum Büro des Regierungssprechers kam, saß da auch eine junge Frau rum, die ziemlich blässlich war und einen Parka oder etwas ähnliches trug und im Fernsehen eine Debatte verfolgte.
Ich musste mich erst reinfinden und beschäftigte mich mit anderen Sachen etwas abseits. Sie aber sagte freundlich: „Na, setz Dich doch mit her“. Es gehörte u.a. zu meinen Aufgaben, Interview-Wünsche für den Ministerpräsidenten entgegenzunehmen, ein bisschen zu sortieren und dann Termine abzuklären, wenn er einverstanden war. Ich war heilfroh, dass mir die junge unauffällige Person immer gleich diese Gänge abnahm, den Ministerpräsidenten fragte und mir Bescheid gab, denn ich konnte dann effektiver arbeiten.
Die junge Frau war unglaublich fleißig und nach und nach hängte sie den Regierungssprecher ab, weil der außer einem gewinnenden Wesen wenig an Kompetenz besaß. Bald merkte ich aber auch, dass sie konkurrenzbewusst war und sich mit ihr immer dann Konflikte anbahnten, wenn sie Angst hatte wegen ihres Mangels an Erfahrung überfahren zu werden. Ich war schon länger in dem Beruf und darum fragte ich sie hin und wieder, was sie in dieser oder jener Sache tun wolle oder sagte, was ich tun würde. „Das müssen Sie mir nicht sagen“, antwortete sie meist etwas abweisend. Darum nahm ich mich zurück, es gab genug zu tun. Ihre Sekretärin meinte respektvoll, bei ihr sei zwar viel Kram auf dem Schreibtisch, aber sie verwalte ihr kleines Chaos trotzdem effektiv. Und man konnte sich auf sie verlassen. Mir unterlief in dieser Zeit ein äußerst peinlicher Fehler: Ich sah den damaligen Leiter der Treuhand, Reiner Maria Gohlke, auf dem Gang vor dem Zimmer von de Maiziere sitzen und erfuhr nebenher, dass er um seine Abberufung bitten wollte. In meinem Tran sagte ich das einem Journalisten am Telefon und in den nächsten Stunden war der Teufel los. Ausbügeln musste auch sie das, aber sie nahm es mir nicht krumm. Überhaupt war sie immer von höchst gleichmäßiger Temperiertheit. Ich fand sie – obwohl ich ganz anders gestrickt bin – nicht übel.
Am Nachmittag unserer Zusammenarbeit – die DDR gab es am nächsten Tag nicht mehr – saßen wir noch zusammen, rauchten eine Zigarette und sie gab eine Flasche Sekt aus. Sie blieb immer reserviert, immer abwartend. Wir sprachen darüber, was sie für die Zukunft plante. Sie überlegte laut, ob sie nicht doch wieder in die Physik zurücksollte, aber – Günter Krause, dessen Ziehkind sie damals war – riet ihr zu einem Bundestagsmandat. Und so ist es ja auch gekommen. Ich ging zu meiner Arbeit zurück. In deren Ausübung traf ich sie, als sie Frauenministerin war. Sehr unbehaglich fühlte sie sich in diesem Job, das konnte man ihr ansehen. Wir begrüßten uns freundlich, aber sie war schon auf einem anderen Stern. Wenn ich später erlebte, wie man sie auf Haarfrisur und Mimik versuchte zu reduzieren, fand ich zum ersten Mal, dass in diesem Land die Gehässigkeit ein permanentes Stilmittel ist. Was sie aber selbst wirklich politisch will - die Angela Merkel - und ob sie überhaupt politische Leidenschaften besitzt, das hat sich mir nicht erschlossen.
Als ich gestern die Debatte zwischen Merkel und Schröder verfolgte, dachte ich an diese Zeit zurück. So sehr hat sie sich auch wieder nicht geändert. Ihr liegt das politische Tagesgeschäft, aber sehr visionär kommt sie mir auch jetzt nicht vor. Vielleicht aber hat es auch mit den schwindenden Möglichkeiten der Politik überhaupt zu tun.
„In der Berufsforschung gibt es ein Theorem, das besagt, dass ein Beruf um so mehr an Reputation verliert .........je mehr Frauen darin beschäftigt sind“, schrieb kürzlich eine Journalistin.
Nimmt man diesen Gedanken für einen kurzen Augenblick ernst, dann müssten wir uns um das Ansehen des Kanzleramtes Sorgen machen: Denn die Nominierung von Angela Merkel als Kanzlerkandidatin könnte ein Indiz dafür sein, dass das politische Personal an der Spitze gleichgültig zu werden beginnt.“ Das wünsche ich ihr nun auch wieder nicht, der Angela Merkel.