Mittwoch, 6. Oktober 2004

Unterhaltsamer Ost-West-Vergleich

„....gab und gibt es nun einmal überall in der Republik große Unterschiede in den Lebensverhältnissen. Das geht von Nord nach Süd wie von West nach Ost. Wer sie einebnen Bücher sind mir liebwill, zementiert den Subventionsstaat und legt der jungen Generation eine untragbare Schuldenlast auf.“ – sagte der Bundespräsident, dessen Vornamen ich mir einfach nicht merken kann. Seltsamerweise stellte er die Forderung nach Anerkennung der Unterschiede nur in ökonomischer Hinsicht. Mir aber fällt auf, dass es ansonsten überhaupt nicht beliebt ist, auf Unterschiede -zum Beispiel in den Mentalitäten - zwischen Ost und West zu verweisen. Leicht handelt man sich dabei den Vorwurf der Ostalgie ein. Mit diesen Unterschieden beschäftigt sich ein amüsantes Buch des ostdeutschen Kommunikationstrainers Olaf Klein.
„Ihr könnt uns einfach nicht verstehen. Warum Ost- und Westdeutsche aneinander vorbeireden“, so der Titel, der ganz bewusst an einem Erfolgsbuch von Deborah Tannen anknüpft.
Die Blickkontakte, das Distanz-Nähe-Verhältnis, das Verhalten im Raum, die Strategien der Gesprächseröffnung – fast alles ist unterschiedlich zwischen West und Ost.

Vieles von dem, was Klein an Unterschieden aufführt, kam auch mir recht bekannt vor:
Wenn Westdeutsche irgendwo auftauchen, dann hatte auch ich oft das Gefühl, dass sie den Raum nicht betreten, sondern erobern. Andererseits finden Westdeutsche, dass Ostdeutsche für ihr Empfinden viel zu wenig Distanz wahren. Sie respektierten aus deren Sicht auch die Privatsphäre zu wenig, Überhaupt vermischten sie andauernd privat und öffentlich. Und wenn sie sachlich kritisiert würden, dann nähmen die Ostdeutschen das sehr schnell persönlich.
Westdeutsche hingegen empfinden den intensiven Blick von Ostdeutschen oft als ungehöriges Anstarren, während Ostdeutsche sich denken: „Die können einem ja nicht mal in die Augen sehen.“

Westdeutsche suchen in einem Konflikt entweder eine Mehrheit für ihre Sicht zu erringen, während Ostdeutsche den Konsens suchen.
Westdeutsche machen Konflikte oftmals durch Zuspitzung deutlich, während Ostdeutsche einen Konflikt gern erst einmal negieren.
Nebenher: Als ich das las, dachte ich bei mir, dass ich doch mehr zur Zuspitzung neige und damit immer wieder Probleme bekam.

Westdeutsche machen in Gesprächen mit anderen sehr kurze Pausen, in die Ostdeutsche aber nicht „einhaken“, weil ihnen diese Pausen zu kurz sind. Deshalb denkt der Wessis nun wieder, sie wollten gar nicht in die Kommunikation einsteigen. Also redet er peinlich berührt weiter, damit das „Rad der Kommunikation“ weiterläuft.
Wenn sich Westdeutsche präsentieren, dann ist für sie die Darstellung ihres Status das Wichtigste, während Ostdeutsche finden, dass das Wichtigste die persönliche Art und Beziehung sei.
Westdeutsche neigen bei der Selbstdarstellung immer ein wenig zur Übertreibung, während Ostdeutsche das als Prahlerei erleben und selbst „bescheiden untertreiben“. Sie wissen nicht, dass jeder Gesprächpartner im Westen bei der Selbstdarstellung eines anderen gleich ein paar Prozente abzieht. Bei dieser Praxis bleibt bei den Ostdeutschen eigentlich fast nichts übrig.

Es kann daran liegen, dass ich mich kurz nach der Wende vor allem in Frauenzusammenhängen bewegt habe, aber mir kamen zu Beginn die Unterschiede gar nicht so groß vor. Kann aber auch sein, dass die Westdeutschen und die Ostdeutschen – auch die Frauen - zu Beginn die Differenzen unter den Teppich kehrten, weil sie guten Willen zeigen wollten. Damit unterschätzen sie aber gewaltig die Rolle, welche die sowohl die verbale als auch die nonverbale Kommunikation spielen.

In einem Kapitel sind auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Kommunikation besprochen. Ich finde aber, dass die generell unterschiedliche Art der Kommunikation der Geschlechter zu wenig berücksichtigt ist. Das wäre allerdings auch schwierig geworden, weil es weiter Gegensätze aufgemacht hätte.

Ein Mann aus dem Westen kommt zu Beginn ganz gut mit einer Frau aus dem Osten zurecht, auch wenn sie sich als emanzipiert versteht. Der Unterschied zur Westfrau ist, dass sie nicht andauernd ein männliches Feindbild vor sich herträgt und darum auch nicht so abschreckend aggressiv wirkt. Erst später können sich Probleme einstellen, weil eine Frau Ost zum einen ökonomische Selbständigkeit gewohnt ist, andererseits hohe Forderungen an einen Westmann in der Kommunikation. Das meint Klein, aber mir scheint, dies ist inzwischen etwas, woran auch die Westmänner ziemlich verzweifeln. Den Männern wird regional übergreifend einfach zuviel geredet in Beziehungen.

Hingegen gibt es zwischen einem Mann aus dem Osten und einer Frau aus dem Westen vor allem zu Beginn Probleme. Ein Mann aus dem Osten sei im Frühortungssystem der Westfrauen überhaupt nicht wahrnehmbar, denn auch da ginge es zuallererst nach dem Status, ganz gleich was für edle Gesichtspunkte bei der Männerwahl angeführt würden. Außerdem verheddere sich der Ostmann mit Sicherheit im Gestrüpp eines jahrzehntelangen Geschlechterkampfes, den er aus dem Osten so nicht kennt, meint Olaf Klein.
Jedoch könnte bei entsprechender Liebe und Lernfähigkeit beider durchaus eine erfolgreiche Partnerschaft möglich sein.

Ein unterhaltsames Buch, das allerdings sehr deutlich macht, dass es die Ost-West-Unterschiede noch lange geben wird. Das kann auch eine Chance sein, sich gegenseitig zu bereichern statt sich zu belehren. Nichts hat in der Vergangenheit die Kommunikation so belastet, als die ständige Forderung nach Anpassung nur in eine Richtung. Von daher ist Kleins Buch auch ein gerechtes Buch.

Olaf Georg Klein: "Ihr könnt uns einfach nicht verstehen. Warum Ost- und Westdeutsche aneinander vorbeireden“. Eichborn-Verlag

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Tubias - 6. Okt, 13:09

Beachtliche Besprechung!

Gruß,

tubias

Magda - 6. Okt, 14:30

Ach, das ischt doch meine Profession.
Danke für die Geduld beim Lesen.
Magda

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Zuletzt aktualisiert: 12. Apr, 12:18

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