Dienstag, 30. Januar 2007

Ich war, ich bin, ich werde sein

„Rosa Luxemburg war selbst schuld an ihrer Ermordung. So sieht das jedenfalls Richard Schröder. Im Film über die 1919 getötete politische Aktivistin, den der RBB heute in seiner Reihe "Lebensläufe" zeigt, zitiert der Theologie-Professor mit SPD-Parteibuch die "Zauberlehrlings"-Zeile "Die ich rief, die Geister" und erklärt kühl den Mord durch Mitglieder des Reichskorps: "Man wird den Einsatz militärischer Mittel gegen einen Putsch nie vermeiden können." (Berliner Zeitung, 29. 01. 07).
Kühl? Nein, eiskalt und unfromm war das anzuhören. Aber es ist eigentlich nicht erstaunlich, dass sich ein „rechter“ Sozialdemokrat wie Schröder gegen eine „linke“ Frau wendet, der man anekdotisch nachsagt, sie habe sich und Klara Zetkin einmal als die einzigen Männer in der SPD bezeichnet. Da kriegt er natürlich einen heiligen Zorn, der Gottesmann.
Der Film - ein Höhepunkt dokumentierten Desinteresses an dieser Frau - wäre auch nicht erwähnenswert, wenn er nicht den trüben Zeitgeist widerspiegelte.
Neben Richard Schröder war noch Freya Klier zu vernehmen, immerhin eine von den Bürgerrechtlerinnen, die im Namen von Rosa Luxemburg gegen die Meinungskonformität der DDR zu Felde zogen. Nachdem sie die Luxemburg gönnerhaft wegen ihrer Kommunikationsstärke – ohne Handy und andere Hilfsmittel – belobigt, stellt sie ihr die großen historischen Irrtümer in Rechnung. Der Spruch von der Freiheit der Andersdenkenden gehört – bei den Wendungen der Frey Klier gemacht hat - hoffentlich nicht zu diesen Irrtümern. Man kann es ja nicht wissen.

Selten gewürdigt wird die unglaubliche Sprachkraft von Rosa Luxemburg.
Irrtümer hin oder her. Noch immer geht es mir unter die Haut, wenn ich ihre Worte – geschrieben kurz vor ihrer Ermordung - lese:„'Ordnung herrscht in Berlin!' Ihr stumpfen Schergen! Eure 'Ordnung' ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon 'rasselnd wieder in die Höh' richten' und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: Ich war ich bin ich werde sein!"

Diese Sprachmacht würdigte auch der große Karl Kraus. In einem Beitrag des österreichischen Magazins „Augustin“ wird berichtet, dass er ein Jahr nach Rosa Luxemburgs Ermordung in der „Arbeiter-Zeitung“ einen Brief entdeckte, den sie aus dem Gefängnis an Sonja Liebknecht geschrieben hat:

„Ach, Sonitschka, ich habe hier einen scharfen Schmerz erlebt, auf dem Hof, wo ich spaziere, kommen oft Wegen vom Militär, voll bepackt mit Säcken oder alten Soldatenröcken und Hemden, oft mit Blutflecken ..., die werden hier abgeladen, in die Zellen verteilt, geflickt, dann wieder aufgeladen und ans Militär abgeliefert. Neulich kam so ein Wagen, bespannt, statt mit Pferden, mit Büffeln. Ich sah die Tiere zum erstenmal in der Nähe. Sie sind kräftiger und breiter gebaut als unsere Rinder, mit flachen Köpfen und flach abgebogenen Hörnern, die Schädel also unseren Schafen ähnlicher, ganz schwarz mit großen sanften Augen. Sie stammen aus Rumänien, sind Kriegstrophäen ... die Soldaten, die den Wagen führen, erzählen, daß es sehr mühsam war, diese wilden Tiere zu fangen, und noch schwerer, sie, die an die Freiheit gewöhnt waren, zum Lastdienst zu benutzen. Sie wurden furchtbar geprügelt, bis daß für sie das Wort gilt „vae victis“ ... An hundert Stück der Tiere sollen in Breslau allein sein; dazu bekommen sie, die an die üppige rumänische Weide gewöhnt waren, elendes und karges Futter. Sie werden schonungslos ausgenutzt, um alle möglichen Lastwagen zu schleppen, und gehen dabei rasch zugrunde. – Vor einigen Tagen kam also ein Wagen mit Säcken hereingefahren, die Last war so hoch aufgetürmt, daß die Büffel nicht über die Schwelle bei der Toreinfahrt konnten. Der begleitende Soldat, ein brutaler Kerl, fing an, derart auf die Tiere mit dem dicken Ende des Peitschenstieles loszuschlagen, daß die Aufseherin ihn empört zur Rede stellte, ob er denn kein Mitleid mit den Tieren hätte! „Mit uns Menschen hat auch niemand Mitleid“, antwortete er mit bösen Lächeln und hieb noch kräftiger ein ... Die Tiere zogen schließ an und kamen über den Berg, aber eins blutete ... Sonitschka, die Büffelhaut ist sprichwörtlich an Dicke und Zähigkeit, und die war zerrissen. Die Tiere standen dann beim Abladen ganz still und erschöpft, und eins, das, welches blutete, schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften schwarzen Augen wie ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft worden ist und nicht weiß, wofür, weshalb, nicht weiß, wie es der Qual und der rohen Gewalt entgehen soll ... ich stand davor, und das Tier blickte mich an, mir rannen die Tränen herunter – es waren seine Tränen, man kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken, als ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte. Wie weit, wie unerreichbar, verloren die freien saftigen grünen Weiden Rumäniens! Wie anders schien dort die Sonne, blies der Wind, wie anders waren die schönen Laute der Vögel oder das melodische Rufen der Hirten. Und hier – diese fremde schaurige Stadt, der dumpfe Stall, das ekelerregende muffige Heu mit faulem Stroh gemischt, die fremden furchtbaren Menschen, und – die Schläge, das Blut, das aus der frischen Wunde rinnt ... Oh, mein armer Büffel, mein armer, geliebter Bruder, wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht. – Derweil tummelten sich die Gefangenen geschäftig um den Wagen, luden die schweren Säcke ab und schleppten sie ins Haus; der Soldat aber streckte beide Hände in die Hosentaschen, spazierte mit großen Schritten über den Hof, lächelte und pfiff leise einen Gassenhauer. Und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei ...
Schreiben Sie schnell, ich umarme Sie, Sonitschka.

Karl Kraus druckte ihn in der „Fackel“ ab mit dem Geleitwort: „Schmach und Schande jeder Republik, die dieses im deutschen Sprachgebrauch einzigartige Dokument von Menschlichkeit und Dichtung nicht (…) zwischen Goethe und Claudius in ihre Schulbücher aufnimmt und nicht zum Grausen vor der Menschheit dieser Zeit der ihr entwachsenden Jugend mitteilt, dass der Leib, der solch eine hohe Seele umschlossen hat, von Gewehrkolben erschlagen wurde.“

Inspiriert davon suchte ich nach einer gerechten Stimme der Gegenwart über Rosa Luxemburg und fand das Zitat von Walter Jens: "Die Humanität in unserer Gesellschaft, wird sich auch danach bemessen, inwieweit wir das Erbe Rosa Luxemburgs in Ehren halten."

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